Die Schweizer Bevölkerung wird angegriffen im Cyberraum, konfrontiert mit Desinformationskampagnen. Bewaffnete Gruppen attackieren kritische Infrastrukturen. Dazu kommen Bedrohungen aus der Distanz und im Extremfall ein umfassender militärischer Angriff. Darauf muss sich die Armee gemäss Bundesrat vorbereiten. Dafür soll sie breit aufgestellt werden, um sich gegen eine Vielzahl von möglichen Bedrohungen verteidigen zu können.
Zeithorizont: 12 Jahre. Es ist das erste Mal, dass das Parlament nicht nur bei der Beschaffung von Rüstungsmaterial mitreden kann, sondern auch bei der strategischen Ausrichtung der Armee. Die Mitte-Nationalrätin Isabelle Chappuis meinte, es sei «eine beispiellose Gelegenheit, die Zukunft unserer Armee zu gestalten». Die Grüne Marionna Schlatter kritisierte jedoch, dass die Fähigkeiten weder beziffert noch messbar noch vergleichbar seien. Auch der SVP-Nationalrat Thomas Hurter fand dies störend und meinte in Richtung Verteidigungsdepartement: Eckwerte sollten so definiert werden, «dass Sie sagen können, wir haben sie erreicht, oder wir haben sie nicht erreicht».
Auch mit dem breiten Fähigkeitsprofil waren nicht alle Parteien einverstanden. Die SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf etwa sprach von einem «Wunschkonzert» und erklärte, dass ihre Fraktion dieses Fähigkeitsprofil nicht unterstütze. Grüne und SP hätten den Fokus lieber auf Bereiche wie Cyber, Terrorismus, internationale Zusammenarbeit oder die Bewältigung von Umweltkatastrophen gelegt. Doch die bürgerliche Mehrheit setzte sich durch und folgte damit dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Weg. Luftverteidigung und Cyberabwehr im Fokus Anders als der Bundesrat und die nationalrätliche Finanzkommission wollte eine Mehrheit ausserdem mehr Geld ausgeben, um Lücken in der Luftverteidigung rascher zu schliessen.
Ein System mittlerer Reichweite soll beschafft werden. Kostenpunkt: 660 Millionen Franken. Bereits der Ständerat hatte diesen zusätzlichen Kredit im Juni in die Botschaft integriert. Verteidigungsministerin Viola Amherd lehnte den Antrag schon damals ab im Namen des Bundesrates, aufgrund der schwierigen Finanzlage des Bundeshaushaltes. In derselben Ratssitzung sagte sie aber auch: «Aus einer sicherheitspolitischen Sicht würde eine vorgezogene Beschaffung die Luftverteidigung rascher stärken.
» Die Grünen im Parlament waren dagegen. Es habe keine Eile, dieses System zu beschaffen. Man könnte es auch erst in die nächste Armeebotschaft nehmen, da das Bundesamt für Rüstung Armasuisse noch nicht einmal den System-Typ kenne. Doch eine Mehrheit fand, die Armee solle so rasch als möglich ein solches System beschaffen und nicht noch zusätzlich ein Jahr warten. Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind die Lieferfristen für Rüstungsmaterial deutlich länger.
Auch andere europäische Staaten machen sich Gedanken, wie sie ihre Luftverteidigung stärken können. 21 Länder wollen einen gemeinsamen Schutzschirm aufbauen: den European Sky Shield. Der Bundesrat hat im Frühling den Beitritt beschlossen. Mit der Initiative sollen Beschaffungsvorhaben im Bereich der bodengeschützten Luftverteidigung (kurze, mittlere und grosse Reichweite) besser koordiniert werden können. Auch bei Ausbildungen und in der Logistik soll enger zusammengearbeitet werden.
Der Bundesrat sagt, die Schweiz habe keine Verpflichtungen mit dem Beitritt. Ein Vorstoss aus der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates will, dass der Bundesrat den Beitritt dennoch dem Parlament zur Genehmigung unterbreiten muss. Der Bundesrat ist dagegen, wie er in seiner Stellungnahme schreibt. Die Kompetenz für die Beitrittsunterzeichnung liege «eindeutig beim Bundesrat». Der Vorstoss hätte am Donnerstag im Nationalrat besprochen werden sollen, hatte jedoch nach der langen Debatte zur Armeebotschaft keinen Platz mehr.
Wann er in die grosse Kammer kommt, ist noch unklar. Das Rüstungsprogramm 2024 umfasst nun neben den Systemen der Luftverteidigung und Cybersicherheit auch neue Lenkwaffen, um gepanzerte Ziele auf weite Distanz vom Boden aus bekämpfen zu können. Darüber hinaus wird das Schulungsflugzeug Pilatus PC-7 modernisiert werden. Es ist seit 1982 im Einsatz und braucht beispielsweise ein neues Navigationssystem sowie eine bessere Funkanlage. Damit ist die Flugzeugflotte weitere 15 Jahre einsatzfähig.
Nationalratspräsident muss bei Finanzdebatte eingreifen Der SP-Nationalrat Fabian Molina war gegen ein höheres Armeebudget. Mit dem Geld würden «Panzerhaubitzen oder Drohnen» gekauft, anstatt Kitas oder die AHV finanziert. Der Freisinnige Heinz Theiler stellte klar, dass es in dieser Armeebotschaft vor allem um die Luftverteidigung und den Cyberbereich gehe. Als Fabian Molina die Armee als «Trachtenverein» bezeichnete, entsetzten sich bürgerliche Parlamentarier vollends. Der SVP-Nationalrat Mauro Tuena forderte eine Entschuldigung.
Sein Parteikollege Michael Götte, Oberst im Militär, meinte: «Überlegen Sie gut, wie Sie die Männer qualifizieren, die gestern, heute, morgen, die Tag und Nacht in den Übungen sind, um sich auf einen Einsatz vorzubereiten.» Doch Molina teilte nicht nur gegen Armeeangehörige aus, sondern auch gegen die Mitte. Diese wollte nämlich nicht mehr auf die SP setzen, um einen Kompromiss zu finden bei der Finanzierung des höheren Armeebudgets. Grund war, dass die Sozialdemokraten in der Sicherheitskommission eine unheilige Allianz mit der SVP eingingen und den Zahlungsrahmen bei der Gesamtabstimmung bachab schickten. In der Debatte zur Armeebotschaft bezeichnete Fabian Molina die SVP als die «Geizigen» und die Mitte als die «Paranoiden».
Der Mitte-Nationalrat Philipp Bregy wollte von Molina daraufhin Namen, «so dass die Betroffenen überlegen können, eine Strafanzeige einzureichen». Die Debatte zeigte: Die Nerven liegen blank, wenn es darum geht, wie die höheren Armeeausgaben finanziert werden sollen. Und ein Ende ist nicht in Sicht, denn die aktuelle Idee mit Einsparungen in der Entwicklungshilfe oder zulasten der Kantone wird kaum eine Mehrheit im Ständerat finden. Nationalratspräsident Eric Nussbaumer sah sich schliesslich in der Debatte am Donnerstag gezwungen, einzuschreiten. Die Demokratie lebe von der Vielfalt, aber sie lebe auch vom Respekt gegenüber der anderen Meinung: «Wir sollten uns in diesem Saal wieder daran orientieren.
» Ob das Parlament dazu in der Lage ist, wird sich spätestens in der Budgetdebatte im Dezember zeigen. Lücken in der Luftverteidigung sollen schneller geschlossen werden als vom Bundesrat geplant. Zum ersten Mal hat das Parlament auch beschlossen, welche Fähigkeiten die Armee langfristig haben soll. Luftverteidigung und Cyberabwehr im Fokus Nationalratspräsident muss bei Finanzdebatte eingreifen Selina Berner, Bern Zusätzlich zum Flugabwehr-Raketensystem Patriot will die Schweiz möglichst rasch ein System für die mittlere Reichweite beschaffen. Mauro Tuena von der SVP verlangte, dass sich Sozialdemokrat Fabian Molina entschuldigt.