Die St.Galler Regierung sagt, es gebe ein Problem mit Roma-Grossfamilien, die den Schutzstatus S beantragen, dann wieder ausreisen und später abermals einreisen würden. Mitte-Ständerat Benedikt Würth verlangt eine Verschärfung der nationalen Regeln. Die SVP sieht sich bestätigt, die SP wehrt sich.
Der Ton ist ungewöhnlich scharf: Letzte Woche hat sich die St.Galler Regierung zum Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge geäussert. Dies auf Anfrage von Boris Tschirky, Chef der Mitte-EVP-Fraktion im Kantonsrat. Tschirky warnte – aufgrund von Rückmeldungen aus den St.Galler Gemeinden – vor systematischem Missbrauch des Schutzstatus. Die Regierung bestätigt, dass es ein Problem gebe. «So stellt das Migrationsamt des Kantons St.Gallen immer wieder fest, dass Roma-Familien die Schweiz kurz nach Gewährung des Schutzstatus und Belegung einer kommunalen Unterkunft wieder verlassen und dafür bei der erstmaligen Ausreise auch von Rückkehrhilfe profitieren.» Dieselben Familien würden später erneut einreisen, erneut den Schutzstatus beantragen – und kurz darauf wieder ausreisen.
Die St.Galler Regierung schreibt, es sei schwer nachvollziehbar, «dass diese Personen wirklich auf den Schutz der Schweiz angewiesen sind». Zumal manche die Zusammenarbeit mit den Behörden erschweren oder gar verweigern würden.
Regierungsrat Marc Mächler (FDP), der das St.Galler Sicherheits- und Justizdepartement in Vertretung von Fredy Fässler (SP) führt, hat mit einem Schreiben beim zuständigen Bundesrat Beat Jans (SP) interveniert und umgehend eine Lösung gegen Missbrauch des Schutzstatus S verlangt. Denn für die Erteilung des Schutzstatus ist einzig der Bund zuständig.
Würth schlägt strengere Kriterien vor
Der St.Galler Ständerat Benedikt Würth (Mitte) setzt in Bern zusätzlichen Druck auf: Er reicht eine Motion ein mit einem konkreten Vorschlag zur Anpassung des Schutzstatus S. Dieser soll aberkannt beziehungsweise nicht wieder erteilt werden, wenn eine Person für eine bestimmte Aufenthaltsdauer – zum Beispiel 14 Tage – ausreist, wenn eine Person Rückkehrhilfe bezogen hat oder wenn der Schutzstatus missbräuchlich erlangt wurde. «Des Weiteren soll sichergestellt werden, dass der Schutzstatus innerhalb des Dublin-Raums nur ein Mal erteilt wird», heisst es im Motionstext.
Würth will damit verhindern, dass Personen über die Grenze hin- und her reisen und dann jedes Mal wieder den Schutzstatus erlangen. «Dieser ‹Tourismus› kann nicht akzeptiert werden», schreibt Würth. Ausserdem müsse vermutet werden, dass die ukrainischen Papiere teils gekauft seien. Die Schweiz müsse die Dokumente besser prüfen sowie Hinweisen zu missbräuchlichem Handel mit Pässen entschiedener nachgehen. Und zwar rasch, damit sich die Pendenzen nicht aufstauen.
SVP wittert schon länger Missbrauch
St.Galler SVP-Parlamentarier hatten schon früher von Missbräuchen des Schutzstatus S gesprochen. Esther Friedli verlangte bereits Ende 2022 Auskunft vom Bundesrat zu Personen mit Schutzstatus S, die bei Kriegsausbruch nicht in der Ukraine lebten. Michael Götte wies im Dezember 2023 in der Fragestunde des Nationalrats darauf hin, dass viele grosse Roma-Familien aus der Ukraine in die Schweiz kämen. «Viele sprechen weder russisch noch ukrainisch. Viele kommen mit Ausweisen aus derselben Ortschaft.» Der Verdacht liege nahe, dass Papiere erworben werden könnten. Die damalige Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) sagte, für diese Familien gälten dieselben Prüfkriterien wie für alle anderen Schutzsuchenden auch. Hinweise auf signifikante Fälschungen habe der Bund nicht. Baume-Schneider räumte aber ein, bei der Roma-Gemeinschaft sei oft nicht klar, wo die Menschen vor der Einreise in die Schweiz und dem Antrag auf Schutz gelebt hätten. Das müsse geklärt werden.
Götte sagt, es sei erfreulich, dass jetzt auch die Mitte-Partei das Problem anerkenne. Würths Motion habe aber zwei Schwachpunkte. Erstens dauere der parlamentarische Prozess zu lange. Bundesrat Jans müsse sofort handeln. Zweitens fehle eine konkrete Stossrichtung zur Verhinderung des Missbrauchs.
SP: «Einzelfälle werden aufgebauscht»
Die SP kritisiert diese Absichten der Bürgerlichen. «Einmal mehr scheint mir, dass wenige Einzelfälle aufgebauscht werden, um das wichtige Instrument des Schutzstatus S grundsätzlich in Abrede zu stellen und Druck auf alle Geflüchteten zu machen», so die St.Galler Nationalrätin Barbara Gysi. Zu Würths Motion sagt sie: «Dort, wo der Schutzstatus S missbräuchlich erlangt wurde, ist es für mich selbstverständlich, dass er aberkannt werden soll.» Die anderen Vorschläge der Motion würden jedoch zu weit gehen. Im Übrigen solle sich die Schweiz noch aktiver um eine Friedenslösung und einen Waffenstillstand bemühen, nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Gaza und in weiteren Kriegen.
Nationalrätin Nina Schläfli (SP/TG) sagt, die von Würth vorgeschlagenen Anpassungen seien nicht nötig, weil bereits heute ein aktiver Schutzstatus nur in einem Land erteilt werden könne und es auch schon Widerrufsgründe gebe – zum Beispiel bei Missbrauch. «Im Falle der Rückreisehilfe ist der Vorschlag darüber hinaus auch nicht sinnvoll, weil sich die Sicherheitslage in der Ukraine leider ständig verschlechtert.» Handlungsbedarf sieht Schläfli hingegen bei der Suche nach langfristigen Lösungen für ukrainische Geflüchtete in der Schweiz, bei der wirtschaftlichen und sozialen Integration.
Roma-Vertreter kritisiert Debatte deutlich
Die St.Galler Aussagen zu Missbräuchen des Schutzstatus haben vergangene Wochen schweizweit Wellen geworfen. Stéphane Laederich, Direktor der Roma Foundation in Zürich, warnte in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» vor pauschalen Vorwürfen gegen Roma. «Das Mühsame daran ist, dass man alle Roma in einen Topf wirft. Macht einer eine Dummheit, werden alle angeschwärzt.» Es gebe viele Roma in der Schweiz, auch Geflüchtete, von denen man nicht spreche, weil sie nie Probleme machten und gut integriert seien.