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Der Berufspolitiker hat ein Faible für freisinnige Positionen

Thierry vom Bodensee: Sollte Esther Friedli in den Ständerat gewählt werden, hätte Michael Götte gute Chancen, als SVP-Nationalrat nachzurücken.

 

Esther Friedli hat gute Chancen, am 30. April in die kleine Kammer gewählt zu werden. Mit der Übernahme des zweiten St. Galler Sitzes im Stöckli würde Friedli aus dem Nationalrat ausscheiden, worauf bei der SVP ein eigentliches Stühlerücken einsetzen dürfte. Erster Ersatzmann auf der Nationalratsliste ist nämlich Thomas Müller. Doch der frühere Rorschacher Stadtpräsident hat dem Vernehmen nach wenig Lust, an zwei Sessionen teilzunehmen und bereits im Herbst zur Neuwahl anzutreten. Auch die zweitplatzierte Barbara Keller-Inhelder aus Rapperswil-Jona verfolgt mittlerweile andere Lebenspläne.

 

«Netzwerker im Wirtschaftsfilz»

Damit schlüge die grosse Stunde des 43-jährigen Michael Götte. Er hat schon in jungen Jahren zielstrebig an seiner politischen Karriere gearbeitet und einiges erreicht; an etlichen Herausforderungen ist er aber auch gescheitert. Nach einer Lehre als Verwaltungsangestellter hat Götte eine Berufsmaturität abgelegt und sich zum diplomierten Betriebswirtschafter weitergebildet. Er diente zeitweise in der Funktion eines persönlichen Assistenten Edgar Oehler zu, dem schillernden Unternehmer und CVP-Politiker. Dabei wurde ihm auch der FC St. Gallen zu einer Herzensangelegenheit. Seit über zwanzig Jahren sitzt Michael Götte im St. Galler Kantonsrat, wo er elf Jahre die SVP-Fraktion führte. Er amtet er als Universitätsrat und präsidiert den Interessenverband Regio. Politiker aus verschiedenen Lagern stellen ihm ein insgesamt gutes Zeugnis aus.

 

Im Jahr 2006 wurde Götte zum Gemeindepräsidenten der kleinen Gemeinde Tübach gewählt, die in der Nähe des Bodensees liegt. Auch dieses Teilzeitamt, so wird ihm im Dorf attestiert, versehe er seriös und erfolgreich. Der dreifache Familienvater hält sich mit verschiedenen Sportarten fit und brachte es militärisch bis zum Grad eines Obersten in einer Territorialdivision. Bei der von ihm präsidierten Kandidatur fürs Eidgenössische Schwing- und Älplerfest kassierte St. Gallen gegenüber Glarus mit 18 gegen 242 Stimmen allerdings eine schmerzhafte Ohrfeige von den Schwinger-Delegierten.

 

Neben seinen politischen Ämtern hat er auch das übrige Berufsleben voll auf die Politik abgestimmt.

Neben seinen politischen Ämtern auf Gemeinde- und Kantonsstufe hat Michael Götte seit einiger Zeit auch das übrige Berufsleben voll auf die Politik abgestimmt. Er wirkt nämlich seit sieben Jahren als Leiter kantonale Politik in der Industrie- und Handelskammer St. Gallen-Appenzell. Es gibt Parteikollegen, die ihn seither als «Netzwerker mitten im Ostschweizer Wirtschaftsfilz» eher misstrauisch beäugen. Götte präsentiere sich selber auf den sozialen Medien gerne an gesellschaftlichen Anlässen, dränge ungestüm zur Prominenz und sei fast nur noch mit einem Apéro-Glas in der Hand zu sehen.

 

Mit solchen Vorwürfen kann der Kritisierte nichts anfangen: «Das sind Momentaufnahmen, die wirkliche Arbeit findet im Hintergrund statt. Nicht zuletzt dank meiner breiten Vernetzung konnte ich grosse politische Geschäfte im Kanton St. Gallen positiv beeinflussen.» Ein angeblicher Wirtschaftsfilz sei ihm unbekannt.

 

Für Stirnrunzeln in der SVP sorgte Michael Götte bei den Nationalratswahlen mit einem Plakat ohne Partei-Logo. Stattdessen betonte er: «Ich kann Menschen zusammenbringen und über Parteigrenzen hinaus Mehrheiten finden. Ich bin ein Brückenbauer. Unter anderem zwischen Wirtschaft und Politik.» Als einziger St. Galler SVP-Politiker verurteilte er 2019 das «Wurmplakat» der nationalen Partei: «Den Angriff auf andere Parteien erachte ich als falsch, da es mir als Exekutivpolitiker und als langjährigem Fraktionschef bewusst ist, wie wichtig die parteiübergreifende Zusammenarbeit ist.» Er führte seinen persönlichen, wenn auch erfolglosen Wahlkampf lieber mittels Facebook-Talk mit einer freisinnigen Mitkandidatin.

 

Mehr Burkart als Brunner

Trotz allen Bemühungen um staatsmännisches Format scheiterte Götte 2020 selbst bei komfortablen Voraussetzungen für die Regierungsratswahlen – obwohl er sich als «moderater Kandidat» bewerben liess. Nicht einmal die Distanzierung von der Durchsetzungsinitiative seiner eigenen Partei sorgte für den erhofften Durchbruch. Er könne die Kündigungsklausel der EU-Personenfreizügigkeit als «wirtschaftsnaher Politiker» nicht gutheissen und sei für den Erhalt des bilateralen Wegs mit der EU.

 

Götte will keine Abkommen, die im Widerspruch zur direkten Demokratie stehen. Gegenüber der Weltwoche gibt er aber zu bedenken: «Für den Grenzkanton St. Gallen mit seiner hohen Exportorientierung sind verbindliche Handelsabkommen mit dem Ausland enorm wichtig. Schlussendlich muss man einen Kompromiss finden, der für beide Seiten passt.»

 

Solche Statements machen denkbar, dass FDP-Präsident Thierry Burkart am neuen Nationalrat vom Bodensee mehr Freude haben könnte als die eigenen Parteigrössen. Sogar im äusserlichen Auftritt ist der smarte Michael Götte mehr Thierry als Toni, mehr Burkart als Brunner.

 

Originalartikel: Die Weltwoche, 28.04.2023 (Christoph Mörgeli)

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