Michael Götte blieben im zweiten Wahlgang für die St.Galler Regierung der offizielle Support und viele Stimmen seitens CVP und FDP versagt. Dies habe mehrere gute Gründe, wie Parteivertreter sagen.
Die SVP hat den zweiten Sitz in der St.Galler Regierung beim zweiten Versuch mit Michael Götte erneut verpasst – und erneut soll die CVP schuld sein, wie SVP-Präsident Walter Gartmann meint. Der hatte sich Mitte März bereits über den ausgebliebenen Support der CVP enerviert. «Am konstruktivsten» arbeite man mit der FDP zusammen und empfehle deshalb Beat Tinner, befand der CVP-Vorstand, derweil sich die «lösungsorientierte bürgerliche Mittepolitik häufig nicht mit den Positionen der Polparteien verträgt.»
Die CVP ist nicht überrascht über die Schuldzuweisung. «Wir sind uns die Vorwürfe alle vier Jahre gewohnt», sagt Fraktionschef Andreas Widmer und spitzt augenzwinkernd zu: «Wenn etwas im Kanton nicht klappt, ist meistens die CVP schuld, das erlebe ich seit 20 Jahren.» Statt die CVP anzugreifen, hätte die SVP besser den Schulterschluss mit der FDP gepflegt, meint Widmer. «Sie haben das bürgerliche Ticket nicht ausgespielt und im Gegenteil den FDP-Kandidaten angegriffen.»
Selbstkritik und Klärung der Oppositionsrolle empfohlen
CVP-Präsident Patrick Dürr schlägt in die gleiche Kerbe. «Bei der SVP wäre Selbstkritik angebracht. Die Resultate, speziell in der Region St.Gallen, zeigen, wo sie den Hebel ansetzen müsste.» Und die SVP-Spitze habe früh signalisiert, dass sie im Alleingang den zweiten Sitz anstrebe. Von einem Zerwürfnis zwischen CVP und SVP könne keine Rede sein, meint Dürr: «Unsere Wahlempfehlung war konsequent, wir haben die Polparteien noch nie unterstützt.» Tatsächlich foutierte sich die CVP im zweiten Wahlgang 2012 um eine Wahlempfehlung: Zu gross damals «die ideologischen Differenzen» zu Fredy Fässler (SP), zu gross «die Vorbehalte» gegenüber Michael Götte.
Dass die SVP mit dem moderaten «Konsenspolitiker» Götte die bürgerliche Mitte nur bedingt gewinnen konnte, müsse die Partei ihrem Oppositionskurs und dem rüden nationalen Ton wie jüngst den Wurm-Plakaten zuschreiben, vermuten die beiden CVP-Kantonsräte. Auch wenn man oft gut zusammenarbeite, befremde die SVP mit ihrem «Zweihänder»-Gebaren etwa in der Sozialpolitik. Unzuverlässig sei sie, wenn es um Wahlen von Richtern, Bildungsräten oder Mitgliedern in Institutionen gehe, «da werden wir oft abgestraft», so Widmer. Trotz der verständlichen Enttäuschung sollte die SVP nun auf Drohgebärden verzichten: «Differenzen zu schüren wäre schlecht für die kantonale Politik», sagt Dürr.
Die gesuchte Anlehnung und Betonung des «gemässigten SVP-lers» Götte, der aus einer CVP-Familie stammt, sei bei der Wählerschaft «eher schlecht angekommen», zumal diese frühere Parteiübertritte (Barbara Keller-Inhelder, Thomas Müller) nie ganz vergessen habe, meint Widmer. «Und so konsensbemüht Götte ist, muss er als Fraktionschef doch auf Parteilinie sein.»
Jeder zweite Wähler hat nur eine Person gewählt
Im Gegensatz zu früher, als die SVP aus CVP-Sicht «nicht wählbar war», habe sich das Verhältnis im Kanton entspannt, meint alt CVP-Regierungsrat Martin Gehrer. Der bürgerliche Schulterschluss sei dieses Mal «vertretbar» gewesen, sagt Gehrer, der den SVP-Mann (sowie Tinner) unterstützte – nicht zuletzt wegen Göttes Einsatz für kirchliche Belange wie die Stiftsbibliothek. Dass die CVP aber «frei nach Gusto» wählte, belegt das Beispiel der früheren Kantonsrätin Margrit Stadler, die das Ticket Götte-Bucher propagierte.
Gehrer vermutet, dass nebst dem Frauenbonus der zuletzt stärker betonte «Südkanton-Effekt» die entscheidende Rolle spielte. Und offensichtlich hätten viele FDP- und SVP-Mitglieder aus wahltaktischen Überlegungen nur einen Kandidaten gewählt – wohl in der Meinung einer Frauenwahl und folglich Ausmarchung unter den beiden bürgerlichen Kontrahenten. Die Zahlen belegten, dass angesichts von gut 108’000 abgegebenen Wahlzetteln und je dreimal rund 50’000 Stimmen auf jedem zweiten Zettel nur eine Person stand.
Die FDP sah «klares Signal» der SVP für einen Alleingang
Nebst dem Support der CVP fehlte auch jener der FDP. Weshalb? Er hätte ein bürgerliches Ticket gerne geprüft, sagt FDP-Präsident Raphael Frei. Zum Gespräch mit der SVP darüber kam es nicht. «Sie wollte allein in den zweiten Wahlgang gehen.» Präsident Gartmann habe kurz nach dem ersten Wahlgang klar gemacht: Der SVP sei egal, von wem sie den zweiten Sitz hole – ob den noch freien SP- oder den noch freien FDP-Sitz. Dies sei für die FDP ein klares Signal gewesen. «Wir gaben daraufhin keine Unterstützung für den SVP-Kandidaten raus», sagt Frei. Er habe sich dessen ungeachtet aktiv um eine Unterstützung ihres Kandidaten durch die CVP bemüht – mit Erfolg. Wie wichtig war die Unterstützung der CVP für den Wahlerfolg Tinners? «Es war einer der Faktoren», sagt Frei und bedankt sich bei der CVP. Trotz der momentanen Enttäuschung der SVP ist für Frei klar: «Wir tun gut daran, uns für die künftige Parlamentsarbeit wieder zusammenzuraufen, erst Recht bei den Herausforderungen durch Corona.»
«Anti-SVP-Mechanismus» gibt der Partei zu denken
Die SVP beklagt ihr schlechtes Resultat in den Städten – und ist ratlos. «Der Anti-SVP-Mechanismus funktioniert reflexartig», sagt der Waldkircher Kantonsrat Paul Scheiwiller, Vize-Präsident der St.Galler SVP und Vorstandsmitglied SVP Schweiz. Er wisse beim besten Willen nicht, was sie in diesen Wahlen anders hätten machen können. «Vielleicht bleibt nur noch eine Namensänderung – dieselbe Politik anders verkaufen.» Denn: «Der Inhalt unserer Politik kommt bei den Leuten an. Doch sobald eine Person mit dem Label SVP auftritt, wird abgeblockt.»
Weshalb hat der bürgerliche Schulterschluss nicht geklappt? «Die CVP ist schon lange nicht mehr bürgerlich, so weit wie sie links der Mitte politisiert.» Hat das bürgerliche Bündnis überhaupt jemals bei Wahlen funktioniert? «Ein einziges Mal», sagt Scheiwiller und erinnert an die Ständeratswahlen vom Herbst 2019, als die FDP im zweiten Wahlgang Marcel Dobler zugunsten von Roland Rino Büchel aus dem Rennen nahm – bekanntlich ohne Erfolg.
Dass die Niederlage seinen Parteifarben geschuldet ist, bringt ein Kommentar auf Göttes Facebook-Seite auf den Punkt: Der Tübacher sei in der «falschen Partei, ansonsten wäre er schon lange Regierungsrat», schreibt ein Bekannter. «Das ist einmal mehr die Quittung für all die Exponenten in der Partei, die nichts Konstruktives zum politischen Diskurs in der Schweiz beitragen.» Um weiterzukommen, brauche Götte einen Parteiwechsel, so die Empfehlung: «Einfach den umgekehrten Weg gehen, den Thomas Müller gegangen ist.»