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Sollen reiche Gemeinden zur Kasse gebeten werden? Der St.Galler Sonderfall zum Finanzausgleich steht zur Debatte

Die St.Galler Regierung ist zufrieden mit dem innerkantonalen Finanzausgleich. Doch die SP bezeichnet ihn als untauglich. Und die vorberatende Kommission des Kantonsrats verlangt eine Prüfung anderer Ausgleichsmodelle.

 

Wie gerecht sind die Steuerverhältnisse im Kanton St.Gallen? Sind die Unterschiede zwischen reichen und armen Gemeinden im Lot? Was taugt der interkantonale Finanzausgleich? Alle vier Jahre stellen sich diese Fragen, wenn die Regierung dem Kantonsrat den sogenannten Wirksamkeitsbericht über den Finanzausgleich unterbreitet.

 

Seit der Einführung des Systems 2008 ist da stets eine heftige Debatte programmiert, zumal St.Gallen landesweit als einziger Kanton neben Appenzell Ausserrhoden am vertikalen Finanzausgleich festhält. Sprich der Kanton hilft den finanzschwachen Gemeinden, derweil die reichen Gemeinden nicht zur Kasse gebeten werden.

 

Das vertikale System wird seit Jahren von Seiten der Linken und der von Zentrumslasten gebeutelten Städte kritisiert. Auch die liberale Denkfabrik Avenir Suisse mahnte 2013 dringende Reformen an: Im Vergleich aller 26 kantonalen Finanzausgleichssysteme rangierte St.Gallen unter den Schlechtesten. Sein Modell sei «intransparent» und fördere «ein konstantes Anwachsen des Ausgleiches», hiess es.

 

Regierung sieht «erwünschte Wirkung entfaltet»
Nun hat der Kanton 2016 Fehlanreize korrigiert und den Steuerfuss als Begründung für Ausgleichsbeiträge gestrichen. Doch hält er am vertikalen Ausgleich fest. Eine bewusste Wahl, weil die finanzstarken Gemeinden nicht belastet und damit benachteiligt werden sollten, wie es der zuständige Regierungsrat Martin Klöti einmal formulierte: «St.Gallen will einzelne steuergünstige Gemeinden erhalten, um im Steuerwettbewerb mit den anderen Kantonen bestehen zu können.»

 

Mit anderen Worten, salopp gesagt: Rapperswil-Jona bringt dem Kanton mehr, indem sie als steuergünstige Stadt vermögende Personen anlockt, als wenn sie für strukturschwache Gemeinden wie Degersheim «bluten» muss und gegenüber Freienbach verliert. Nicht zufällig war das auch das Credo des in «Rappi» wohnenden Finanzchefs Benedikt Würth. Ausserdem sei ein zusätzlicher horizontaler Ausgleich nicht nötig, weil die Unterschiede im Kanton vergleichsweise moderat seien.

 

Der jüngste Bericht, unterstützt von einem HSG-Gutachten, gibt der Regierung recht. 2020 sieht sie keinen Grund, am System grundsätzlich etwas zu ändern, zumal fast alle Gemeinden die Steuern senken konnten und nur 16 von 77 Gemeinden hohe Steuerfüsse von über 135 Prozent haben; noch vor zehn Jahren dümpelte die Mehrheit zwischen 145 und 159 Prozent.

 

Die Fehlanreize seien ausgeschaltet, die eingesetzten Mittel würden «zweckmässig und effizient verwendet», schreibt sie zuhanden des Kantonsrats: «Der Finanzausgleich entfaltet die gewünschte Wirkung.» Allerdings schlägt sie Vereinfachungen im Vollzug der Sonderlastenausgleiche in den Bereichen Schule und Sozialkosten (Soziodemographie) und Weite (Strassennetz, Höhenlage, Weiler, Einwohnerdichte) vor.

 

Und sie möchte das Intervall für den Wirksamkeitsbericht um zwei Jahre verlängern – auf sechs statt vier. Dabei soll der Gesamtumfang des Finanzausgleichs in der Grössenordnung von 230 Millionen Franken beibehalten werden, ebenso wie die Grenze des Ressourcenausgleichs von 96 Prozent des Durchschnitts aller Gemeinden.

 

Vorberatende Kommission will horizontalen Ausgleich prüfen
Im Kantonsrat, der die Vorlage im September in erster Lesung berät, dürfte die Debatte trotzdem lebhaft werden. Umstritten sind nicht die Vollzugskorrekturen, sondern wichtige «Stellschrauben», wie die «intensive Diskussion» der vorberatenden Kommission unter dem Präsidium von Michael Götte (SVP) zeigt. Anträge für erhöhte Beiträge für überdurchschnittliche Belastungen (etwa durch Asylkosten) oder reduzierte Beiträge für geographiebedingte Kosten finanzstarker Gemeinden fanden jedoch keine Mehrheit.

 

Hingegen will die Kommissionsmehrheit die Regierung beauftragen, dem Kantonsrat 2024 (und nicht erst 2026) «eine neue Entscheidungsgrundlage» zu unterbreiten. Diese soll die Finanzausgleichsmodelle im interkantonalen Vergleich aufzeigen. Namentlich sollen die Auswirkungen einer Umstellung auf ein anderes System dargelegt und «das Ziel einer nachhaltigen Verbesserung der Standortattraktivität des Kantons verfolgt werden», teilt die Kommission mit.

 

Freilich geht es, ohne dass er explizit genannt wird, um den horizontalen Finanzausgleich, wie Götte bestätigt und drei Gründe für eine Prüfung nennt: weil er «immer wieder Thema» sei, in 24 von 26 Kantonen angewendet werde und die sozialen Kosten in den Zentren zunehmen.

 

Die Regierung werde sich nicht gegen diesen Auftrag wehren und gern eine Auslegeordnung vornehmen, sagt die zuständige Regierungsrätin Laura Bucher. Vor dem Hintergrund düsterer Finanzaussichten und erwartbarer Sparpakete dürfte der Kanton die Gemeinden ohnehin mehr in die Pflicht nehmen – Finanzchef Marc Mächler mahnte in der Kommission die Ausfälle im nationalen Finanzausgleich sowie wegen der Unternehmenssteuerreform und der Corona-Hilfsmassnahmen an.

 

Scharfe Kritik am «untauglichen» Finanzausgleich übt die SP: Sie fordert den horizontalen Ausgleich mit Beteiligung der Gemeinden und eine «deutliche Erhöhung» im soziodemographischen Lastenausgleich. Der Rorschacher Stadtrat und SP-Kantonsrat Guido Etterlin sagt: «Der ruinöse Steuerwettbewerb hat verstärkt dazu geführt, dass die Sozialhilfekosten im Kanton sich einseitig auf die Städte und Zentrumsgemeinden mit hohen Steuerlasten verteilen.»

 

Diese Gemeinden – wie die Stadt St.Gallen, Rorschach oder Wil – bräuchten eine höhere Abgeltung ihrer hohen Belastung, meint Etterlin, der schon vor vier Jahren einen gerechteren Ausgleich forderte. «Es kann nicht sein, dass Sozialhilfebeziehende von Gemeinden mit tiefen Steuern und hohen Mieten in die Zentren abwandern müssen. Der Kanton riskiert einen Stadt-Land-Graben, wenn der Kantonsrat hier nicht endlich Gegensteuer gibt.»

 

33 Millionen Franken gehen an steuergünstige Gemeinden
Als besonders stossend betrachtet Etterlin die Tatsache, dass der Finanzausgleich 33 Millionen Franken in Gemeinden mit tiefen oder sehr tiefen Steuerfüssen leite. In viele kleine Gemeinden flössen zudem Pro-Kopf-Beiträge von über 1000 Franken, derweil die Städte St.Gallen und Rorschach pro Kopf bescheidene 400 respektive 620 Franken erhalten.

 

Diese Mechanismen gelte es zu korrigieren: «Sollte die Einführung eines horizontalen Finanzausgleichs politisch nicht mehrheitsfähig sein, müssten die Sozialkosten besser ausgeglichen oder ein Sonderlastenausgleich Dichte neu geschaffen werden, um die Lasten der bevölkerungsreichen Gemeinden adäquat abzugelten.»

Quelle: Tagblatt, Marcel Elsener, 27.08.20

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