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Die Stadt St.Gallen ist die letzte rote Bastion

Nur noch in der Kantonshauptstadt ist die SVP nicht stärkste Kraft

Während im Wahlkreis Rorschach der «Götte-Effekt» spielt, bleiben die Sozialdemokraten in der Stadt St.Gallen deutlich stärkste Kraft. Was bedeutet das für das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Stadt und Umland?

Rechtsrutsch? Nicht in der Stadt St.Gallen. Zwar legt die SVP bei den eidgenössischen Wahlen vom Sonntag auch in der Kantonshauptstadt im Vergleich zu 2019 um rund 1,8 Prozent zu (von 16,54 auf 18,36 Prozent), aber die SP tut es ihr gleich. Sie kann ihren Stimmenanteil mit den Juso um 1,3 Prozent auf insgesamt 25,6 Prozent steigern. Das kompensiert zwar nicht die Verluste der Grünen, zeugt aber von der Stärke der SP in der Stadt. Zumal Die Mitte (–0,4 Prozent) und die FDP (–0,1 Prozent) bei geringfügigen Verlusten mehr oder weniger konstant blieben.

 

Die SP-Listen haben damit am meisten Stimmen auf sich vereint – die SVP folgt vor den Grünen auf Platz 2. Die Stadt wird damit zum einzigen roten Fleck auf der ansonsten von SVP-Grün dominierten St.Galler Wahllandkarte. Von 76 Gemeinden im Kanton ist sie die Einzige, in der die SVP nicht am besten abschnitt. Vor vier Jahren gab es mit der Toggenburger CVP-Hochburg Mosnang immerhin noch eine weitere Ausnahme im Kanton.

 

In anderen Kantonen ist die Situation ähnlich
Jetzt ist da nur noch die Stadt, die links ausschert. Ein Bild, das man aus anderen Kantonen kennt: Die urbanen Zentren wählen links, das Umland rechtsbürgerlich. Beispiele gibt es viele. Neben Zürich und Bern zeigen auch Winterthur, Luzern und Biel ähnliche Tendenzen. Bleibt die Frage, wie sich diese Zementierung der politischen Realitäten (linke Stadt, rechtes Umland) lokal auswirkt.

 

Das Verhältnis zwischen dem bürgerlichen Kanton und der linken Stadt ist seit Jahren angeschlagen. Finanzausgleich, Zentrumslasten: Die Stadt fühlt sich vom Kanton ungerecht behandelt, der Kanton und die umliegenden Gemeinden werfen der Hauptstadt vor, selbst nicht gut genug auf ihre Finanzen zu achten.

 

Eine, die sich wie wohl niemand anders zwischen diesen Fronten hin und her bewegt, ist Stadtpräsidentin Maria Pappa. Die Sozialdemokratin sitzt auch im Kantonsrat. Am Montag nach der Wahl sagt sie auf Anfrage, die SP habe national wie lokal ein überraschend gutes Resultat erzielt.

 

Stadtpräsidentin Maria Pappa (SP). Bild: Arthur Gamsa

Davon abgesehen halte sie es für unwahrscheinlich, dass sich der vermeintliche Rechtsrutsch auf die Zusammenarbeit zwischen Stadt, Kanton und umliegenden Gemeinden auswirke. «In der täglichen Arbeit merke ich immer mehr, dass wir alle mit ähnlichen Themen zu tun haben – egal ob Stadt, Kanton oder kleine Gemeinde.»

 

Man sei auf Gegenseitigkeit angewiesen, das bleibe trotz unterschiedlicher Parteistärken in Stadt und Umland so. Vielmehr sieht Pappa noch Potenzial für die Sozialdemokratie in den kleineren Gemeinden des Kantons. «Für die SP sollte das kein Tabu sein. Wir sind keine reine Stadtpartei.»

 

Auf den Finanzausgleich und die Zentrumslasten angesprochen, winkt Pappa ab. «Das ist keine Frage von links oder rechts. Das ist eine Frage der Fairness.» Schon ihr Vorgänger im Amt, der Freisinnige Thomas Scheitlin, habe sich für eine fairere Lösung eingesetzt. «Aber natürlich ist eine Anpassung der Kostenverteilung kein einfacher Aushandlungsprozess.»

 

Volkspartei mit guten Resultaten in der Kantonshauptstadt
Donat Kuratli, Stadtparlamentarier, Kantonsrat und Präsident der SVP Stadt St.Gallen, zeigt sich sehr zufrieden mit dem Abschneiden seiner Partei in der Stadt St.Gallen. Die SVP gewann so viele Listenstimmen dazu wie keine andere Partei. Über 5500 waren es in der Stadt. Insgesamt erzielte sie in der Stadt 42’600 Stimmen.

 

Donat Kuratli, Stadtparlamentarier und Kantonsrat der SVP. Bild: Arthur Gamsa

Zudem sagt Kuratli: Sowohl die bestätigte SVP-Ständerätin Esther Friedli wie auch der neu gewählte SVP-Nationalrat Walter Gartmann – beide vom Land – hätten in der Stadt sehr gute Resultate erzielt. Friedli lag stimmenmässig gleichauf mit Arbër Bullakaj, dem Herausforderer der SP. Für Kuratli ist es ein klares Zeichen: «In der Stadt hat ein Wandel stattgefunden – trotz links-grüner Vorherrschaft. Das gibt Mut für die kommenden Kantonsrats- und Stadtparlamentswahlen.»

 

Das gute Abschneiden der SVP in der Stadt erklärt er wie folgt: «Wenn die anderen Parteien ihre Leistung nicht erbringen, gewinnen wir.» Dabei gehe es um Problempunkte, auf welche die SVP schon lange den Finger halte.

 

Kuratli meint die hohen Steuern und die «permanente Bevormundung» der Bürgerinnen und Bürger. Die Tendenz, immer mehr vorzuschreiben («sogar, wie ich mich fortbewegen muss») und abzuknöpfen, stosse sauer auf. Als jüngstes Beispiel nennt er das städtische Parkierreglement. «So kann es nicht weitergehen», sagt der SVP-Politiker. Es brauche die kritische Stimme der SVP.

 

Trotz gutem Abschneiden der SVP: Die Stadt St.Gallen bleibt links-grün dominiert. Kuratli und seine Parteikolleginnen und -kollegen haben es auf diesem Terrain nicht leicht. Das weiss er aus Erfahrung. «Umso mehr müssen wir für unsere Anliegen kämpfen.»

 

Von einem Stadt-Land-Graben will Kuratli dennoch nichts wissen. «Klar, es gibt den roten Fleck auf der Landkarte, aber ein Graben ist es nicht», sagt er. Auch was das angespannte Verhältnis zwischen Stadt und Kanton angeht, äussert er sich zurückhaltend. Für ihn ist klar: «Wenn die Stadt beim Kanton Forderungen stellt, darf sie nicht ihre linke Politik durchboxen. Sie muss sich eine andere Taktik zulegen. Sonst hat sie keinen Erfolg.» Kuratli spricht etwa den Sonderlastenausgleich oder den geplanten Neubau der Kantonsbibliothek an. Es brauche gute Argumente und die Diskussion darüber, was wirklich nötig sei.

 

In Rorschach hat die SVP die SP abgehängt
In der Stadt Rorschach lagen die SVP und die SP bei den eidgenössischen Wahlen vor vier Jahren quasi gleichauf. Beide Parteien kamen auf einen Wähleranteil von gut 24 Prozent; die SVP holte 2019 mit vier Listen 4291 Stimmen in der Stadt Rorschach, SP und Juso zusammen 4201 Stimmen.

 

Bei der Ständeratsersatzwahl im Frühling dieses Jahres liess SP-Kandidatin Barbara Gysi in Rorschach SVP-Kandidatin Esther Friedli sogar hinter sich; das schaffte die Sozialdemokratin neben Rorschach nur noch in St.Gallen.

 

Vor diesem Hintergrund ist das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag für die SP in Rorschach ernüchternd. Mit der Hauptliste kamen die Sozialdemokraten in der Stadt am See auf einen Wähleranteil von 20,21 Prozent, die SVP steigerte sich dagegen leicht auf 25,60 Prozent. Die SP wurde von der SVP in Rorschach regelrecht abgehängt.

 

Guido Etterlin, SP-Stadtrat in Rorschach und Kantonsrat. Bild: Nik Roth

Guido Etterlin, SP-Stadtrat in Rorschach und Kantonsrat, sagt, der SVP sei es gelungen, zum Schluss des Wahlkampfs noch einmal stark zu mobilisieren. «Die Hassparolen der SVP haben auch in Rorschach verfangen», sagt Etterlin. Das gebe ihm zu denken.

 

Für Etterlin gibt es aber noch einen anderen Grund für die Stärke der SVP in der «ehemaligen SP-Hochburg» Rorschach. Die Stadt wachse stark und ihre Bevölkerung wandle sich. Früher hätten in Rorschach viele Angestellte der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gelebt und gearbeitet. «Diese Menschen, die im Eisenbahner-Quartier daheim waren, haben die SP gewählt», sagt Etterlin.

 

Die Zuzüger, die heute nach Rorschach kämen, wählten bürgerlich. Zu denken gibt Etterlin neben den SVP-Parolen die tiefe Wahlbeteiligung in Rorschach von 32,59 Prozent – nirgendwo im Kanton St.Gallen lag sie am Sonntag bei den Nationalratswahlen tiefer.

 

Es gibt so etwas wie den Götte-Effekt
Michael Götte, SVP-Kantonsrat und Gemeindepräsident in Tübach, ist im Frühling für die in den Ständerat gewählte Esther Friedli in den Nationalrat nachgerückt. Er trat am Sonntag als Bisheriger an. Götte holte im Wahlkreis Rorschach viele Stimmen: In sieben von neun Gemeinden im Wahlkreis Rorschach konnte er am meisten Stimmen der zwölf gewählten Nationalrätinnen und Nationalräte auf seinen Namen vereinen.

 

Michael Götte, SVP-Nationalrat. Bild: Keystone

Auch in der Stadt Rorschach holte er mit 469 Stimmen am meisten, dicht gefolgt von Barbara Gysi. Michael Götte sagt, die Wählerinnen und Wähler am See hätten am Sonntag quittiert, dass er sich für die Region eingesetzt habe in den letzten Jahren. Götte-Effekt? Er selbst findet das «hochgehängt».

 

Originalartikel: Tagblatt, 23.10.2023 (Christina Weder, Luca Ghiselli und Daniel Wirth)

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