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Der «Anti-St.Gallen-Reflex»: Nicht mal mit den Nachbarn klappt es

2025 wird in Glarus eidgenössisch geschwungen – und nicht in St.Gallen. Gegen aussen lässt sich die Niederlage schnell abhaken: Einer muss ja verlieren. Angesichts des deutlichen Resultats könnte man aber auch die Frage stellen, ob das Label «St.Gallen» ein grundsätzliches Problem hat.

 

Mollis statt dem Westen der Stadt St.Gallen: 2025 wird das grösste sportliche Volksfest, das Eidgenössische Schwingfest, im Kanton Glarus stattfinden. Das steht seit dem Samstag fest. Dem vorausgegangen waren acht Jahre Vorarbeit vieler engagierter Freiwilliger bei der Bewerbung St.Gallen. Unterm Strich für nichts.

 

Abhaken und das nächste Projekt zugunsten der Region ins Auge fassen: Das war, zumindest nach der ersten grossen Enttäuschung, die allgemeine Reaktion. Auch der St.Galler Stadtrat verbreitete eine Mitteilung in diesem Geist. Und schrieb dort sogar, man müsse bei allem Bedauern klar von einem «Kopf-an-Kopf-Rennen» sprechen.

 

Bei genauerer Betrachtung eigentlich eine unhaltbare Behauptung. Rechtfertigen lässt sie sich höchstens mit Blick auf die Zeit vor der Entscheidung; im Vorfeld waren die meisten Beteiligten von zwei gleich starken Kandidaturen ausgegangen . Aber leider reflektierte sich das nicht im Resultat, und Kopf an Kopf war dort rein gar nichts.

 

Jedenfalls nicht beim Blick auf die Zahlen. 242 Delegierte sprachen sich für die Glarner Bewerbung aus, 18 für St.Gallen. 93 zu 7 Prozent: Das ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten – oder höchstens von «Wahlen» in Nordkorea. Es war letztlich nur ein versprengtes Grüppchen von Exoten, das sich für St.Gallen aussprach. Auch wenn ein weniger deutliches Resultat nichts geändert hätte und es vielleicht sogar noch bitterer gewesen wäre, wenn ein Zufallsmehr entschieden hätte: Schön ist das nicht.

 

Denn es heisst auch, dass auf eidgenössischer Ebene kaum jemand St.Gallen die Stange halten wollte. Wenn die beiden Kandidaturen inhaltlich wirklich beide überzeugt haben, ist das umso tragischer. Es heisst im Grunde: Man wollte St.Gallen nicht etwa aufgrund irgendwelcher erkennbarer Schwächen nicht, sondern ganz allgemein.

 

Es hat, die 7 Prozent lassen keinen anderen Schluss zu, ganz allgemein an Support für St.Gallen gefehlt. Wir hatten keine Verbündeten. Wir haben keine Verbündeten.

 

Das lässt tief blicken. Und offen gesagt: Es geht weit über das Schwingfest hinaus und könnte zur Formel führen: Die restliche Schweiz will nicht nach St.Gallen. Aus Prinzip. Klingt leicht paranoid, ist es aber nicht.

 

«Solche Fragen werden im Moment in der Region diskutiert», sagt Michael Götte, der Präsident des Vereins ESAF 2025 St.Gallen, der am Samstag die Niederlage verdauen musste.

 

Und man spürt: Er teilt den Eindruck. Oder den «Anti-St.Gallen-Reflex», wie er es nennt.

 

Der kann zum Problem werden. Noch mehr als jetzt schon. Ein Beispiel ist die entstehende neue Olma-Halle, das «Autobahndach». Sie entsteht mit dem klaren Ziel, nationale Events, Kongresse und so weiter nach St.Gallen zu holen. Götte nennt dieses Beispiel und fügt an: «Wenn man dann spürt, dass einige einfach nicht nach St.Gallen wollen, kommen schon Fragen auf.»

 

Aber wo liegt das Problem? Abgesehen vom Dialekt, den man bekanntlich ausserhalb der Ostschweiz kaum erträgt, wo liegt das Problem? St.Gallen, so Götte, sei «weder Fisch noch Vogel, nicht gross und bedeutend, aber auch nicht klein und herzig.» Das zeige sich am besten im Raumkonzept der Schweiz, wo St.Gallen irgendwo in der Mitte angesiedelt ist – und wer interessiert sich schon für die Mitte?

 

Der Vordenker Kurt Weigelt, einst Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell, hat einst vom «Vorzimmer der Schweiz» gesprochen. Das trifft den Punkt.

 

Es läuft ja einiges in die Gegenrichtung. St.Gallen will offiziell als Metropolitanraum anerkannt werden, also in eine höhere Kategorie eingestuft werden. Das würde für gewisse Finanzflüsse in unsere Richtung sorgen, es wäre eine Art administrativer Adelsschlag. Die Frage ist nur: Schafft man damit in der Schweiz eine andere Wahrnehmung gegenüber dem tiefen Osten?

 

Man dürfe nun das Resultat rund um das Eidgenössische Schwingfest nicht einfach auf alles andere umlegen, sagt Michael Götte. Aber das Problem sei nicht wegzudiskutieren. Nicht mal nur mit Blick auf die restliche Schweiz, sondern sogar vor der eigenen Haustür, wie Götte konstatiert: «Die Region St.Gallen in der Schweiz zu klein, um etwas zu bedeuten und in der Ostschweiz so gross, dass es Widerstand auslöst.»

 

Das zeigt auch das Ergebnis vom Samstag. Hätten die Ostschweizer Delegierten, die das Sagen hatten, unisono für die Bewerbung St.Gallen gestimmt, hätten wesentlich mehr Stimmen als 18 resultieren müssen. Aber aus dem Thurgau und dem Appenzellerland hielt man dem Nachbarn nicht die Stange. Möglicherweise sogar nicht einmal aus dem eigenen Kanton: Das Linthgebiet beispielsweise hat oft einen tiefen Reflex gegenüber dem Ballungsgebiet St.Gallen.

 

Für Götte, der sich acht Jahre für das Schwingfest in St.Gallen eingesetzt hat, ist das letztlich sogar ein Trost. Das Bewerbungsdossier, meint er achselzuckend, hätte im übertragenen Sinn aus Gold sein können – es hätte nichts gebracht. «Da stand anderes dahinter, die weichen Faktoren waren zu stark.» Selbst Leute, die sich für Glarus entschieden haben, hätten der St.Galler Kandidatur höchste Qualität attestiert. Das sei schön, schliesst Götte, «aber es nützt letztlich nichts.»

 

Fürs Eidgenössische. Aber wohl darüber hinaus.

 

Quelle: Die Ostschweiz, 8.03.21, Stefan Milius / Bild: swiss-image.ch

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