Wird Esther Friedli in den Ständerat gewählt, wer käme für sie in den Nationalrat nach? Die Reihenfolge bei den Ersatzspielern ist klar. Doch ganz so einfach ist es bei der St.Galler SVP nicht.
Noch nie war die St.Galler SVP ihrem Ziel so nahe. Esther Friedli könnte gelingen, woran an eine ganze Reihe prominenter SVP-Männer gescheitert ist: Sie könnte in den Ständerat einziehen.
Seit 1999 ist die SVP die wählerstärkste Partei im Kanton. Ebenso lange übt sie sich im Sturm aufs Stöckli. Bislang erfolglos. Friedlis Ausgangslage ist komfortabel. Sie liegt weit vorne – über 25 Prozentpunkte vor Konkurrentin Barbara Gysi (SP). Friedli holte im ersten Wahlgang 43,9 Prozent der Stimmen, deutlich mehr als selbst die kühnsten Optimisten ihrer Partei prognostiziert hatten.
Wie es zur kniffligen Ausgangslage kam
Gewinnt Friedli im zweiten Wahlgang tatsächlich, ist die SVP ihre jahrelange Schmach von Ständeratsniederlagen los. Gleichzeitig hat sie ein neues Problem. Wer würde für die Toggenburgerin in den Nationalrat nachrücken? Die Ausgangslage ist knifflig, die Frage nach wie vor ungeklärt. Das kommt nicht von ungefähr. Friedli ist nicht ganz unschuldig daran.
In den letzten eidgenössischen Wahlen war sie als Newcomerin an zwei bisherigen Nationalratsmitgliedern ihrer Partei vorbeigezogen, an Thomas Müller und Barbara Keller-Inhelder. Die beiden schafften die Wiederwahl nicht und landeten auf den ersten beiden Ersatzplätzen. Die St.Galler SVP verlor zudem einen Sitz und politisiert seit Herbst 2019 noch zu viert im Nationalrat.
Erster Ersatz plant keine Rückkehr
Erster Ersatzspieler ist Thomas Müller. Die Niederlage – er gehörte 13 Jahre dem Nationalrat an – nahm er sportlich. Nun habe er nach vielen gewonnenen Wahlen «halt eine verloren, es ist wie im Fussball», meinte der ehemalige FCSG-Präsident und ehemalige Rorschacher Stadtpräsident am Wahlabend. Müller ist heute 70 und hat sich weitgehend aus der Politik zurückgezogen. Dass er ein Revival in Bern plant, ist unwahrscheinlich.
Müller hatte 2019 mit Parteikollege Michael Götte eine Abmachung getroffen: Bei einer Wiederwahl wollte er nicht mehr vier ganze weitere Jahre in Bern politisieren, sondern etwas früher Platz machen. Götte sollte nachrücken, so er es auf den ersten Ersatzplatz schaffte. Der «Deal» der beiden ist heute kein Geheimnis mehr und längst öffentlich. Es kam dann bekanntlich anders. Müller schaffte die Wiederwahl nicht.
Zweiter Ersatz tut sich schwer
Zweiter Ersatz ist Barbara Keller-Inhelder. Wie gross ihr Rückhalt in der Partei ist, ist unklar. Ebenso unklar ist, ob sie nachrücken und nach dem Debakel von 2019 im Herbst nochmals eine Wiederwahl versuchen will.
Auf Anfrage erklärt sie: «Die Entscheidung fällt mir nicht leicht.» Und weiter: «Seit Monaten ersuchen mich die einen, unbedingt wieder anzutreten, darunter auch eine mir wichtige nationale SVP-Persönlichkeit. Andere bitten mich wiederum, nicht anzutreten, aus unterschiedlichen Interessen.» Konkreter mag sie sich nicht werden. Nur so viel: «Ich konnte mich daher noch nicht entscheiden. Spätestens nach dem zweiten Wahlgang werde ich das wohl müssen.»
Auf eine erste Anfrage vor wenigen Monaten hatte die ehemalige Nationalrätin erklärt: «Wenn ich nachrücke, dann vor allem aus einem Grund: Ich würde versuchen, den Ratsbetrieb zu optimieren.» Keller-Inhelder hatte bereits während ihrer aktiven Zeit in Bern den Parlamentsbetrieb harsch kritisiert. In einem Artikel im «Schweizer Monat» hatte sie von «Pseudodebatten für die Galerie» geschrieben, von «grossmauligen Reden» und davon, dass es vorwiegend um «Schaukämpfe und Lärm» gehe. Alle Entscheidungen würden bereits im Vorfeld der Sessionen gefällt, in den Kommissionen und Fraktionen. Mit dieser Pauschalkritik hatte sie sich nicht nur Freunde gemacht.
Dritter Ersatz ist Favorit, vierter Ersatz spricht Klartext
Der Dritte in der SVP-Warteschlaufe ist Michael Götte. Sein Interesse am allfällig frei werdenden Nationalratssitz dürfte gegeben sein. Auf Anfrage äussert sich der langjährige Kantonsrat und Tübacher Gemeindepräsident zurückhaltend: Er habe sich noch nicht allzu sehr mit der Situation auseinandergesetzt – «es stehen zwei andere weiter vorne». Er werde sich erst entscheiden, wenn klar sei, was die Ersatzspieler Nummer 1 und Nummer 2 machten. So viel verrät er dann doch: Selbst wenn er nachrücken könnte, würde er sein Leben nicht komplett umstellen – «da es im Herbst bereits darum geht, die Wiederwahl zu schaffen». Erst danach würde er eine Auslegeordnung all seiner bisherigen Aufgaben machen.
Anruf bei Walter Gartmann, Präsident der St.Galler SVP:
Tun sich einzelne Parteimitglieder schwer mit Barbara Keller-Inhelder?
Wen sähe er am liebsten für Esther Friedli im Nationalrat?
Bis wann steht fest, wer nachrückt?
Gartmann weicht aus und vertröstet: «Es laufen diese und nächste Woche Gespräche.» Eine konkrete Aussage macht der Parteipräsident dann doch: Er werde nicht nachrücken. Gartmann ist der vierte Ersatzspieler.
Bei der SP ist der Fall klar
Wesentlich einfacher ist die Situation bei der SP: Schafft Barbara Gysi im zweiten Wahlgang am 30. April den Ständeratssitz zu verteidigen, so ist ihre Nachfolge im Nationalrat geklärt. In Lauerstellung ist Arber Bullakaj. Der IT-Unternehmer und frühere Wiler Stadtparlamentarier arbeitet seit Jahren auf das Ziel hin, auf nationaler Ebene Politik zu machen. Seine Antwort kommt denn auch sofort: Natürlich würde er nachrücken. «Ein Sitz im Nationalrat ist zu wichtig, als dass man ihn ausschlagen sollte.»
Originalartikel: Tagblatt, 05.04.2023
Bilder: Michel Canonica, Anthony Anex/KEY, Ralph Ribi