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Kein eigenes Spital mehr und auch kein Notfallzentrum: Rorschach muss den Tatsachen ins Auge sehen

Das Spital Rorschach ist schon länger geschlossen. Nun hat die Regierung in der Antwort auf einen Vorstoss klargemacht, für eine eigenständige Notfallanlaufstelle besteht kein Bedarf. Dies, obwohl der Kantonsrat im Jahr 2020 neue Gesundheits- und Notfallzentren als Ersatz für die geschlossenen Regionalspitäler beschlossen hat. Die Aufregung darüber am See hält sich, zumindest auf Behördenseite, in Grenzen.

 

Graue Sandsteinblöcke verhindern die Zufahrt zum Haupteingang des Spitals, besser gesagt des Ambulatoriums, zu dem Rorschachs Spital Anfang Februar 2021 degradiert wurde. Notfallpatienten sind hier nämlich nicht mehr willkommen. Alles, was unverzüglich behandelt werden muss, wird nach St.Gallen ins Kantonsspital gebracht. Bei schweren Unfällen, Herzinfarkt oder Hirnschlag geht so wertvolle Zeit verloren.

 

Ein Szenario, gegen das sich die ganze Region am See über Jahre mit Händen und Füssen wehrte. Noch im März 2013 sagte Daniel Germann, Direktor des Kantonsspitals St.Gallen:

«Man muss sich keine Sorgen machen um das Spital Rorschach. Die Region mit 22’000 Einwohnern braucht eine medizinische Versorgung, die 24 Stunden zur Verfügung steht.»

 

Nichts als leere Phrasen, wie die Bevölkerung am See feststellen musste. Der Bericht «Grobkonzept: Leistungs- und Strukturentwicklung der Spitalverbunde des Kantons St.Gallen» besiegelte im Mai 2018 das Schicksal des Spitals Rorschach.

 

Stadtrat hilft nur bei der Standortsuche

 

In ihrer Antwort auf einen Vorstoss schrieb die Regierung: «Bei einem Meinungsanlass mit der Ärzteschaft der Region Rorschach hat sich ergeben, dass für eine eigenständige Notfallanlaufstelle mit erweiterten Öffnungszeiten kein Bedarf gesehen wird.» Geplant sei die Zusammenarbeit mit den Notfallstationen des Kantonsspitals und der Hirslanden Klinik Stephanshorn in St.Gallen. Diese seien von Rorschach aus innerhalb von 20 Minuten erreichbar.

 

Im Jahr 2024 soll das neue ambulante Gesundheitszentrum in Rorschach seine Türen öffnen. Ein definitiver Standort wurde aber noch nicht gefunden, wie Stadtpräsident Robert Raths bekräftigt. Er betont auch, dass ein derartiges Gesundheitszentrum nicht von der Stadt selbst betrieben werde. «Wir können nur bei der Evaluation eines möglichen Standortes behilflich sein.» Fakt sei, sagt Raths:

«Ein GNZ, also ein Gesundheits- und Notfallzentrum, muss aus dem Köpfen raus.»

 

Es gebe kein Spital mehr in Rorschach und es werde kein Notfallzentrum geben, diese Tatsachen müsse man nun zur Kenntnis nehmen, ob es einem nun gefalle oder nicht. Wenn eine Ersatzlösung da sei, werde das Ambulatorium im Spital Rorschach heruntergefahren. Er wolle für die Stadt einen adäquaten Ersatz haben, der den Trend hin zu Ambulatorien berücksichtige. Ob es in der Stadt einen Notfall braucht, das möchte Raths nicht beurteilen. Er ist aber die Meinung, das Spital in St.Gallen sei in nützlicher Frist zu erreichen.

 

Die Fahrt nach St.Gallen ist zumutbar

 

Dominik Gemperli, Gemeindepräsident in der bevölkerungsreichsten Gemeinde (Goldach) der betroffenen Region, kann die Einschätzung der Ärzteschaft insofern nicht ganz nachvollziehen, weil sich viele Ärzte in der Region für den Erhalt des Spitals Rorschach starkgemacht hätten, mit Hinweis auf die Versorgungssicherheit. «Hier sehe ich einen gewissen Widerspruch zum Verzicht auf ein eigenständiges Notfallkonzept. Aber klar, letztlich entscheiden die Ärzte autonom über ihre Organisation für den Notfall. Wenn ein Konzept mit grösserem Radius besser funktioniert, nehme ich dies zur Kenntnis.»

 

Die Region Rorschach muss also eine zwanzigminütige Anfahrt bei Notfällen in Kauf nehmen, bei Herzinfarkten und Hirnschlägen zählt ja bekanntlich jede Sekunde? «Ich denke, das ist grundsätzlich zumutbar und stellt den Regelfall für ganz viele Regionen im Kanton St.Gallen dar. Bei medizinischen und lebensbedrohlichen Notfällen braucht es sowieso eine schnelle Versorgung durch ein Spital selbst», sagt Gemperli. Entscheidend sei hier ein gutes Zusammenspiel zwischen Blaulichtorganisationen und den Spitälern. Seien die Blaulichtorganisationen schnell vor Ort und bleibe die Qualität der Versorgung in den Spitälern gewährleistet, sehe er kein Problem. Gemperli sagt:

«Ich glaube, die Interdisziplinarität eines grossen Spitals ist ein Vorteil bei der Versorgungssicherheit und speziell bei einem medizinischen Notfall.»

 

Welche Lösung für die Region Rorschach ist seiner Meinung nach angebracht? «Ich bin kein Spezialist. Etwas schade finde ich aber, dass die Berit Klinik in Goldach mit einer bestehenden und gut funktionierenden Infrastruktur keine Rolle spielen kann. Sie wären sicher bereit, einen entsprechenden Leistungsauftrag im Hinblick auf eine Notfallversorgung zu prüfen.»

 

Ein Ambulatorium wäre vor allen ein politischer Kompromiss

 

Wäre ein Notfallzentrum nicht wichtiger als ein Ambulatorium, zumal es ja genügend Hausärzte für kleinere Wehwehchen in der Region am See gibt? «Sind wir offen und ehrlich», so Gemperli, «die Realisierung eines Ambulatoriums ist vor allem ein politischer Kompromiss und konkurrenziert letztlich vor allem die Hausärzte. Über den effektiven Nutzen für die Bevölkerung kann gestritten werden. In diesem Sinne ist ein funktionierendes Notfallkonzept wahrscheinlich tatsächlich entscheidender.»

 

Im Falle von einem offensichtlichen Herzinfarkt, Hirnschlag oder schweren Unfall wolle wohl jeder am liebsten via Ambulanz sofort ins Kantonsspital St.Gallen. Dort sei die Einrichtung, Spezialisierung und 24-Stunden-Betreuung für Eingriffe vorhanden, so Rorschachbergs Gemeindepräsident Beat Hirs. Ein Eingriff könne in der Ambulanz vorbereitet werden, der Weg nach St.Gallen sei kurz. Dass der Notfall in St.Gallen auch nicht sehr dringende Bagatellfälle abwickeln müsse, sei nicht ideal und belaste eine teure Infrastruktur. Die Idee von lokalen Ambulatorien scheine daher sinnvoll und sei nachvollziehbar.

 

Im Ambulatorium könnten Ärzte in Teilzeit arbeiten

 

«Mit Blick auf andere Regionen sehen unsere Ärzte, dass dies der richtige Weg ist. Man muss der Realität in die Augen schauen und die tatsächlichen Bedürfnisse eruieren, dann kommt man automatisch zum Schluss, zu dem die Ärzte gekommen sind», sagt Tübachs Gemeindepräsident Michael Götte. Bezüglich eines Herzinfarktes gebe es in den Gemeinden Defibrillatoren. Diese würden selbstverständlich den Arzt nicht ersetzen, Tübach mache aber auf allen Kanälen immer wieder auf diese Möglichkeit aufmerksam.

 

Dass die Hausärzte tagsüber Anlaufstelle bei Notfällen sind und die Spitäler in St.Gallen diese Aufgabe in der Nacht übernehmen, findet er einen guten Ansatz. «Wenn die hausärztliche Zusammenarbeit gut funktioniert, muss man sich tatsächlich die Frage stellen, ob es ein Ambulatorium in Rorschach überhaupt braucht», sagt Michael Götte. Wenn sich auch Privatkliniken bezüglich Notfälle einbringen wollten, sei dies erfreulich. Daher verstehe er auch nicht, wieso das Engagement von Berit in Goldach vom Kanton abgelehnt wurde. «Alles, was für die Verbesserung der Notfallhilfe angeboten wird und den Staat nicht mit Kosten belastet, soll auch umgesetzt werden.»

 

Quelle: Tagblatt, 21.03.22 Rudolf Hirtl / Bild: Urs Bucher (Oktober 2019)

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