Skip to content

Nervig oder praktisch – am Tier-Scooter scheiden sich die Geister

Tier-Scooter in der Region am See: Über 3000 Fahrten in einem Monat allein in Rorschach

 

Für die einen ist es ein modernes Verkehrsmittel, das es möglich macht, sich schnell und flexibel zu bewegen, für die anderen sind die türkisblauen E-Scooter und E-Bikes des Anbieters Tier ein Ärgernis. Die Versuchsphase soll in Rorschach, Goldach, Tübach und Rorschacherberg Erkenntnisse für einen eventuell definitiven Betrieb bringen. Die aktuellen Nutzungszahlen zeigen, dass am See durchaus eine Nachfrage besteht.


An schönen Tagen düsen sie zuhauf durch die Region am See: Die E-Scooter flitzen aber nicht nur über Strassen, sondern auch über Gehwege, durch Fussgängerzonen und gelegentlich auch in die falsche Fahrtrichtung. Vielen sind die schnellen türkisblauen Tier-Flitzer ein Dorn im Auge, Behördenmitglieder hingegen raten zur Gelassenheit und sprechen von einer positiven Zwischenbilanz.


ie bis Ende November dauernde Versuchsphase soll in der «Stadt am See» Erkenntnisse für einen künftigen Betrieb bringen. Rorschacherbergs Gemeindepräsident Beat Hirs bezeichnet das Angebot als eine praktische Ergänzung zum öffentlichen Verkehr. Es entspreche einem Bedürfnis und ersetze Autofahrten. Er sagt:

«Ich bin gegenüber innovativen Lösungen sehr offen und könnte mir einen definitiven Betrieb vorstellen.»

Der Gemeinderat müsse abwägen, ob er das Angebot weiter unterstütze und ob stärker mit Parkzonen gearbeitet werden sollte. Es wäre viel ordentlicher, wenn man die Scooter nur auf offiziellen Sammelparkplätzen abstellen könnte. Dann könne man aber nicht bis vors Haus fahren und das sei das grosse «Plus» dieser sehr flexiblen Mobilitätsform.

 

Beat Hirs, Gemeindepräsident Rorschacherberg.
Bild: Benjamin Manser

«Erlauben wir weiterhin Fahrten vor die Haustüre, dann müssen wir mit schlecht parkierten Scootern leben, ermöglichen aber einen kundenfreundlicheren Einsatz. Wir müssen uns regional abstimmen und zusammen mit Tier eine passende Lösung finden.» Im Gemeindehaus seien berechtigte Reaktionen wegen schlecht abgestellter Scooter eingegangen. Diese seien in der Tat ein sehr grosses Ärgernis.


Städte müssen künftig mit E-Trottinetts leben

«Die Situation präsentiert sich so, wie ich sie erwartet habe – nicht besser und nicht schlechter als in anderen Städten. Zwar stehen vereinzelte Trottinetts störend im Weg. Doch alles in allem kommen Fussgänger und Tier-Fahrende gut aneinander vorbei», sagt der Rorschacher Stadtschreiber Richard Falk. Er habe direkt keine Reklamationen aus der Bevölkerung erhalten, höre aber von Einwohnerinnen und Einwohnern, dass sie sich an den neuen Gefährten stören.

 

Rorschachs Stadtschreiber Richard Falk.
Bild: Michel Canonica

Und wie bewähren sich die GPS-Sperrzonen in der Stadt? «Wir hatten einige Rückmeldungen der Schule, dass dort die Parkverbotszonen nicht funktionierten. Das sollte in der Zwischenzeit aber korrigiert sein. Am See, wo eine Sperrzone gilt, sind mir bisher noch keine Trottinetts aufgefallen. Also scheint es dort zu funktionieren.»

 

Mitarbeitende vom Werkhof haben durch die E-Scooter laut Falk keinen nennenswerten Mehraufwand:

«Ab und zu müssen zwar blöd abgestellte Trottinetts auf die Seite gestellt werden, damit sie die Strassenwischmaschine nicht behindern. Dieser Aufwand hält sich aber in vernachlässigbaren Grenzen.»

Grundsätzlich kann er sich einen definitiven Betrieb in Rorschach vorstellen. «Ein Grossteil der Bevölkerung nutzt die Scooter zwar nicht, trotzdem gehören diese in der Zwischenzeit in fast jeder Stadt zum gewohnten Stadtbild. Ich war kürzlich für zwei Tage in München. Dort sind bestimmt vier verschiedene Anbieter von E-Trottinetts präsent.» Eine Stadt, die mit der Zeit gehen wolle, müsse in Zukunft vielleicht mit E-Trottinetts leben. Auf jeden Fall brauche es eine regional abgestimmte Lösung, betont auch der Stadtschreiber. «Ich erwarte spannende Diskussionen im Stadtrat.»


Aktuelle Nutzerzahlen bestätigen Nachfrage

Was die Ordnung beim Parken der E-Scooter angeht, hat sich nach Meinung von Goldachs Gemeindepräsident Dominik Gemperli die Situation in den vergangenen Wochen positiv entwickelt. Es sei wichtig, situativ auf die Verkehrssituationen reagieren zu können, daher würden sich die GPS-Sperrzonen bewähren.

 

Goldachs Gemeindepräsident Dominik Gemperli.
Bild: Tobias Garcia

Im Vorfeld des Tier-Testbetriebs erhoffte sich der Gemeindepräsident eine Attraktivitätssteigerung für Goldach, ist diese eingetreten? «Für eine definitive Aussage ist es noch zu früh, aber die aktuellen Nutzungszahlen zeigen, dass eine Nachfrage besteht.» Bezüglich eines definitiven Betriebs sagt er: «Das kann ich noch nicht sagen, wir wollen die Erkenntnisse aus dem Versuch zuerst im Detail analysieren.»


GPS-Sperrzonen zeigen Wirkung

In Tübach läuft der Pilotbetrieb bis am 31. Dezember. Es lägen dem Gemeinderat noch keine Auswertungen vor, weshalb er keine detaillierten Fragen zum Tier-Betrieb beantworten könne, so Gemeindepräsident Michael Götte. Grundsätzlich sei über die Sommermonate aber eine rege Nutzung festgestellt worden.

 

Laut Manuel Herzog, St.Galler Operations Manager von Tier, sind die Herausforderungen im Bereich Mikromobilität unterschiedlich, auch in diesen vier Gemeinden. «Grundsätzlich kann gesagt werden, dass bei uns sehr wenige Reklamationen eingegangen sind. In Tübach haben wir keine einzige negative Rückmeldung erhalten, aber sehr wohl positive. Wir haben in Goldach, Rorschach und Rorschacherberg drei bis fünf Beschwerden innerhalb des ersten Monates aufzuweisen. Dies ist eine gute Quote.»

 

Manuel Herzog, St. Galler Regionalchef der E-Roller-Firma Tier.
Bild: Benjamin Manser

Um Reklamationen vorzubeugen, sei das Team täglich in den Bodenseegemeinden unterwegs, stelle Fahrzeuge um, sammle defekte ein und wechsle Akkus vor Ort. Herzog sagt:

«Zusätzlich haben wir Street-Patrol- Mitarbeitende, die über die IV einen Arbeitsversuch bei uns machen. Sie sind jeden zweiten Tag in den Gemeinden unterwegs und kümmern sich ausschliesslich um schlecht parkierte Fahrzeuge.»

Um das Parkverhalten positiv zu beeinflussen, wurden laut Herzog Bonusparkzonen eingerichtet, Kunden erhalten drei Minuten Gutschrift, wenn sie innerhalb dieser Zonen parkieren.


In Rorschach eine tierisch hohe Nachfrage

Eine starke Nachfrage gäbe es in allen vier Gemeinden, jedoch steche die Stadt Rorschach mit einer überdurchschnittlichen Nutzungsrate hervor. Hier wurden laut Herzog innerhalb des ersten Monats bereits über 3000 Fahrten zurückgelegt. Während in Rorschach sehr viel innerhalb der Stadt selbst und teils nach Goldach gefahren werde, zeige sich in Rorschacherberg, dass die Fahrzeuge vor allem als Anbindung an die Bahnhöfe Rorschach genutzt würden. Tübach weise gemeindeübergreifende Fahrten auf, mit einem längeren Fahrzeitdurchschnitt als in den anderen Gemeinden.

Laut Herzog werden im November Gespräche mit den Verantwortlichen der Seegemeinden stattfinden:

«Wir wünschen uns aufgrund der guten Nutzung und der bisherigen Erfahrungen, dass wir das Angebot in einen fixen Betrieb umwandeln können.»

Entscheiden sich die Behörden für einen definitiven Betrieb, stehen Tier-Scooter auch im Winter zu Verfügung? «Es ist so, dies gilt bei einem Fixbetrieb, dass wir während des Winters die Geschäftsgebiete so verkleinern, dass keine Fahrten in höhere sowie entlegene Gebiete gemacht werden können. Ebenfalls wird die Flottengrösse verkleinert, sodass wir für den Winterdienst der Gemeinde einen reibungslosen Ablauf garantieren können.» Hinzu komme, dass bei Schnee- und Glättegefahr alles deaktiviert werde und die Tier-Fahrzeuge nicht mehr gemietet werden könnten. «Dadurch möchten wir für unsere Kunden das Risiko eines Unfalls minimieren. Wir haben in der Stadt St.Gallen und in Gossau in den letzten Wintern sehr gute Erfahrungen gemacht mit diesem System.»

 

Tier-Ranger Miika Nieminen, der die E-Scooter einsammelt, Akkus austauscht, sauber hinstellt und von A nach B transportiert.
Tier-Ranger Miika Nieminen, der die E-Scooter einsammelt, Akkus austauscht, sauber hinstellt und von A nach B transportiert. Bild: Michel Canonica
In Rorschach hört man allerdings zum ersten Mal von einem möglichen Winterbetrieb. «Ich glaube nicht, dass der Stadtrat einen durchgehenden, wenn auch reduzierten Betrieb genehmigen würde», so Richard Falk.

 

Originalartikel im Tagblatt vom 27. Oktober 2022, Rudolf Hirtl

Bilder: Rudolf Hirtl

Weitere News

An den Anfang scrollen