SVP schielt schon auf zweiten Sitz
SP-Regierungsrat Fredy Fässler ist von seinem Schädel-Hirn-Trauma genesen und leitet im Mai nochmals die Regierung. Aus alters- und gesundheitsbedingten Gründen tritt der 64-Jährige 2024 aber nicht mehr für eine vierte Amtszeit an. Ein Rückblick auf seine Amtszeit – und ein Blick voraus auf die Ersatzwahl.
Im Januar noch wusste niemand, ob Fredy Fässler sein Regierungsamt je wieder ausführen könne. Er hatte bei einem Sturz Anfang Oktober ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten und musste in der Folge monatelang ins Spital und in die Reha. Doch dann machte die Genesung rasch Fortschritte: Anfang Februar begann er teilweise wieder zu arbeiten, Mitte März übernahm er sein zwischenzeitlich von Stellvertreter Marc Mächler geleitetes Sicherheits- und Justizdepartement zur Gänze.
Nun hat Fässler auch nochmals das Regierungspräsidium übernommen, das bis Ende Mai dauert. Dies mit allen Repräsentationspflichten gegen innen und aussen. Abgegeben hat er jedoch im März – gleichzeitig mit seiner Rückkehr in die Departementsleitung – das Präsidium der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). Ein Rücktritt, der ihm schwer fiel, weil er das Amt «extrem gern» ausgeübt habe, wie Fässler sagt. Doch die zeitliche Belastung war mit wöchentlich bis zu drei Terminen in Bern angesichts seiner Gesundheit zu hoch. Geblieben sind vorläufig noch einige Kommissionssitze aufgrund der KKJPD-Mitgliedschaft, etwa jener in der Kommission gegen Rassismus.
Vorzeitige Rücktrittsankündigung
In die Physiotherapie geht er weiterhin, doch kann Fässler ohne Einschränkungen leben und arbeiten; sogar Velo fährt er wieder (wobei ihm soeben das Mountainbike gestohlen wurde). Das «medizinische Wunder» der guten und raschen Genesung in Ehren, soll er sich auf Anraten seiner Ärzte nicht überlasten und der Gefahr einer Überforderung gewahr sein. Aufgrund dieser Einsicht sowie wegen seines Alters – er wird nächstes Jahr 65 – hat Fässler am Montag bekannt gegeben, im März 2024 nicht mehr zu den Erneuerungswahlen anzutreten.
Zwar würde es ihn «sehr reizen», nebst den laufenden Teilrevisionen auch die demnächst anstehende Totalrevision des Polizeigesetzes an die Hand zu nehmen und das neue Sicherheitszentrum in St.Gallen-Winkeln weiter zu planen, sagt Fässler. «Aber nach vielen Überlegungen und Gesprächen vor allem auch mit der Familie habe ich beschlossen, aufzuhören und dies jetzt mitzuteilen, damit Mitarbeitende, Regierungskollegium und Partei Klarheit haben.»
In den verbleibenden gut 13 Monaten seiner Regierungszeit werden ihn unter anderem die erwähnte Teilrevision des Polizeigesetzes mit umstrittenen Punkten wie Bedrohungsmanagement und Datenaustausch, das Sicherheitszentrum, die Digitalisierung der Rechtspflege und die im Grenzkanton speziell anspruchsvolle Situation im Migrations- und Asylbereich beschäftigen.
Kantonspolizei aufgestockt und Asylfriktionen gelöst
2012 als langjähriger Kantonsrat sowie Fraktionschef und als Nachfolger von Kathrin Hilber in die Regierung gewählt, übernahm der Anwalt und Mediator das Sicherheits- und Justizdepartement, das er bis heute leitet. Anders als seine freisinnige Vorgängerin Karin Keller-Sutter, die mit ihrem harten Vorgehen gegen Hooligans Schlagzeilen machte, suchte er weniger die medienwirksamen Auftritte. Sein grösster Erfolg sind die Aufstockung der Kantonspolizei, die er trotz Spardrucks und Personalstopps erreichte, und die Verlagerung der Ressourcen hin zu IT- und mobilen Einheiten. Ausserdem gelangen ihm die Bewältigung mehrerer Flüchtlingskrisen und die Neustrukturierung des Asylwesens mit klar verteilten Aufgaben für Kanton und Gemeinden.
Mit Fredy Fässler verliere der Kanton einen «messerscharf denkenden Politiker, der durch seine Sachlichkeit und Ruhe bestochen hat», schreibt die SP zum Rücktritt ihres Doyens. Er verstehe es, «seine Regierungstätigkeit und die Arbeit im Sicherheitsbereich mit den Werten als Sozialdemokrat zu vereinbaren». Dabei hebt sich der Bauernsohn mit seiner direkten Art und der manchmal saloppen Wortwahl erfrischend von seinen betont korrekten Amtskollegen ab, wie unsere Zeitung einst in einer Zwischenbilanz schrieb. Er bleibe selbst im Kreuzfeuer frohgemut und behalte sein verschmitztes Lachen. Dass er sich nicht nur mit Feind, sondern auch mit Freund reiben kann, zeigte etwa seine Stellungnahme gegen das Frontex-Referendum, die in der Partei nicht gut ankam. Nicht zuletzt mit den Veranstaltungsreihen in seinen Präsidialjahren zu den Themen «Das Fremde in mir» (2017) und «Toleranz» (2022) belegte er, dass es für den sozialen Frieden weit mehr braucht als «nur» Sicherheit.
SP wird zweiten Sitz verteidigen müssen
Die Rücktrittsankündigung Fässlers ausgerechnet am 1. Mai und am Tag nach der Wahl von SVP-Nationalrätin Esther Friedli in den Ständerat wurde von den Parteien zurückhaltend aufgenommen. Selbstverständlich betont die SP nach dem verlorenen Sitz in Bern, dass sie den zweiten Sitz im Regierungsrat verteidigen wolle. Weil sich die Frage einer Ersatzwahl bereits im Winter stellte, hat die Partei schon früh eine Findungsgruppe eingesetzt. Mit den Grünen habe man noch nicht gesprochen, sagt SP-Präsidentin Andrea Scheck, und für Spekulationen auf einen bürgerlichen Schulterschluss in einem wahrscheinlichen zweiten Wahlgang sei es noch zu früh. Mögliche Namen für die Nachfolge von Fredy Fässler auf SP-Seite wurden an dieser Stelle schon genannt: Es sind vor allem die Fraktionsmitglieder Bettina Surber, Monika Simmler, Andrea Schöb, Guido Etterlin und Dario Sulzer.
Die Parteien müssen ihre Kandidierenden für die Regierung bis vor Weihnachten einreichen; vor den kantonalen Wahlen am 3. März 2024 stehen allerdings die nationalen Wahlen an. Dies betonen alle Parteien, zumal ihre aussichtsreichsten Namen für beide Staatsebenen infrage kommen. Halbwegs klare Ansagen gibt es seitens der SVP, die ihren zurücktretenden Regierungsrat Stefan Kölliker ersetzen muss: Sie will einen zweiten Sitz gewinnen. Das ist ihr in den bisherigen Anläufen mit Michael Götte, nunmehr Nationalrat, nicht gelungen. «Unser Anspruch ist berechtigt, unser Ziel sicher eine bürgerliche Mehrheit mit zwei SVP-, zwei FDP- und zwei Mitte-Regierungsmitgliedern», sagt SVP-Präsident Walter Gartmann. Spannen die drei bürgerlichen Parteien für die Regierungswahl zusammen? Es sei noch zu früh, aber man rede gewiss miteinander, meint Gartmann und freut sich, dass man «für den zweiten Wahlgang der Ständeratswahl selten gut zusammengearbeitet» habe.
Auf der andern Seite werden die Grünen 2024 für die Regierung antreten, «nicht zu kandidieren, wäre eine verpasste Chance», sagt ihr Präsident Daniel Bosshard. Eine Findungskommission sei bereits eingesetzt worden. Dabei ziele seine Partei nicht auf den zweiten Sitz der SP, sondern es gelte, «die progressiven Kräfte zu stärken».
Originalartikel: Tagblatt, 01.05.2023 (Marcel Elsener/Bild: Benjamin Manser)