Das deutsche Mobilitätsunternehmen Tier breitet sich immer mehr in der Region aus. Im Laufe des Sommers starten nun auch zahlreiche Gemeinden am See einen Versuchsbetrieb mit den E-Scootern. Während sich das Unternehmen freut, sieht der Rorschacher Stadtrat dem Ganzen mit gemischten Gefühlen entgegen.
Helsinki hat sie, Paris hat sie, Tel-Aviv hat sie, Abu Dhabi hat sie. Auch in St.Gallen und Gossau findet man sie. Und seit kurzem auch in Wittenbach, Berg und Gaiserwald. Als nächste Gemeinden machen nun auch Mörschwil und Tübach mit. Die Rede ist von den E-Scootern des deutschen Unternehmens Tier. Die Stadt St.Gallen hat das Selbstverleihsystem bereits 2020 eingeführt. In den vergangenen Monaten und Wochen sind nun weitere Gemeinden in der Region St.Gallen auf den Zug – oder besser gesagt: auf das E-Trottinett – aufgesprungen.
In der Region am See war bislang nichts von den mintgrünen Flitzern zu sehen. Das ändert sich in den kommenden Wochen aber schlagartig. Zahlreiche Gemeinden haben sich dazu entschlossen, ebenfalls einen Versuchsbetrieb mit den elektronischen Fahrzeugen zu starten.
Gemeinden haben sich abgesprochen
In Mörschwil und Tübach stehen ab diesem Freitag versuchsweise die E-Scooter des Berliner Mobilitätsunternehmens zur Verfügung. Die Gemeinde Mörschwil sieht in den E-Scooters eine ideale Ergänzung zum ÖV, wie diese in einer Mitteilung schreibt. Michael Götte, Gemeindepräsident von Tübach, wollte die Fahrzeuge schon länger in sein Dorf holen. Er sagt:
«Das ist als kleine Gemeinde aber nicht sinnvoll, wenn die Nachbargemeinden nicht ebenfalls mitmachen.»
Schliesslich sollen die Tübacherinnen und Tübacher nicht nur innerhalb der Gemeindegrenze herumfahren können. Nach einem Austausch mit Tier suchte Götte das Gespräch mit seinen Amtskollegen in der Region und stiess auf offene Ohren. «Rorschach, Rorschacherberg und Goldach entschieden sich schliesslich dazu, einen koordinierten Piloten im Herbst zu starten», sagt Götte.
Grundsätzlich wollte er sich dort ebenfalls anschliessen, wollte aber auch die Sommerferien bereits für den Versuchsbetrieb nutzen. «Als ich dann erfahren habe, dass unsere Nachbargemeinde Mörschwil am 8. Juli beginnt, hat sich die Gemeinde Tübach ebenfalls für dieses Datum entschieden.» Schliesslich könnten die Nutzerinnen und Nutzer so nun bereits zwischen St.Gallen, Mörschwil und Tübach die E-Trottis nutzen.
Götte kann sich vorstellen, dass – sobald auch die anderen Gemeinden am See mitmachen – die Tübacherinnen und Tübacher beispielsweise mit dem E-Trottinett in die Badi nach Horn oder Steinach fahren werden und das Auto zu Hause lassen. Er hatte aber auch Bedingungen an Tier: Damit die Fahrzeuge nicht einfach irgendwo in Tübach abgestellt werden, wurden in der Gemeinde vier fixe Standplätze eingerichtet. «Wer seinen Scooter dort abstellt, erhält eine Kostenreduktion.»
Fünf Gemeinden schreiben gemeinsam ein Selbstverleihsystem für E-Trottinetts aus
St.Gallen, Gossau, Wittenbach, Gaiserwald und Berg schreiben zusammen den Betrieb eines kommerziellen Selbstverleihsystems mit E-Trottis aus. Die Tier Mobility GmbH hat noch bis Ende Jahr eine Bewilligung für die Stadt St.Gallen. In den übrigen Gemeinden sind Pilotprojekte im Gang; hier entscheidet sich bis Ende Oktober, ob das Angebot weitergeführt wird. Aufgrund von Änderungen im öffentlichen Beschaffungsrecht erfolgt jetzt für die neue Bewilligungsperiode eine öffentliche Ausschreibung. Eingereicht werden müssen Angebote bis 19. August.
Die Städte und Gemeinden legen in der Ausschreibung die Rahmenbedingungen fürs Selbstverleihsystem fest. Wichtige Punkte sind dabei Sicherheit, Parkierung und Nachhaltigkeit. Aus den Angeboten wird gemäss Mitteilung an einen Betreiber eine Bewilligung mit einer Laufzeit von drei Jahren erteilt. Insgesamt sind rund 500 E-Trottis auf dem Gebiet der beteiligten Städte und Gemeinden vorgesehen. (sk/vre)
Rorschacher Stadtrat hat gemischte Gefühle
Der Rorschacher Stadtrat sieht dem Angebot von Tier derweil mit gemischten Gefühlen gegenüber, wie Ratsschreiber Richard Falk mitteilt. Der Stadtrat zweifle daran, ob damit tatsächlich Autofahrende zum Umsteigen bewegt werden können. «Wichtig wird sein, die Fahrgastzahlen des Seebusses im Auge zu behalten. Sollte sich zeigen, dass die E-Trottinetts primär den bestehenden öffentlichen Verkehr konkurrieren, wären Massnahmen zu ergreifen.» Auf der anderen Seite wolle sich der Stadtrat neuen Trends nicht von vornherein verschliessen.
«Er legt aber Wert darauf, den Versuchsbetrieb sorgfältig zu planen, damit er in möglichst geordneten Bahnen ablaufen kann.»
So sollen zum Beispiel für die Innenstadt reduzierte Geschwindigkeiten und vorgegebene Parkzonen gelten. Entlang dem Seeufer sollen die E-Trottinetts nicht zugelassen sein.
Goldachs Gemeindepräsident Dominik Gemperli sieht der Einführung von Tier mit Interesse entgegen. Er erhofft sich eine Steigerung der Attraktivität. «Auch und gerade wenn es darum geht, die Anbindung an den Bahnhof oder den Bushof zu verbessern.» Die Gemeinde Goldach wollte ursprünglich vor den Sommerferien mit dem Versuch beginnen, entschied sich dann aber, mit Rorschach und Rorschacherberg zu starten. «Diese Koordination ergibt Sinn, da es den Goldacherinnen und Goldachern möglich sein soll, nach Rorschach oder Rorschacherberg zu gelangen. Und selbstverständlich auch umgekehrt», sagt Gemperli.
Auch Horn hat just in diesen Tagen eine Versuchsphase genehmigt. Ab wann die Fahrzeuge in der Seegemeinde stehen werden, ist noch unklar. In Steinach entscheidet der Gemeinderat am kommenden Montag über die Einführung eines Pilotbetriebs.
«Wollen den ÖV nicht konkurrenzieren»
Dass nun nach und nach auch zahlreiche Gemeinden am See die Tier-Fahrzeuge ausprobieren wollen, freut einen ganz besonders: Manuel Herzog. Er leitet das zwölfköpfige Team, das die Tier-Scooter und -Velos in St.Gallen wartet und bei Fragen und Reklamationen hilft. Er hatte Anfang Jahr rund 30 Gemeinden in der Region angeschrieben – auch jene am See.
«Einige hatten Bedenken bezüglich des Seeufers», sagt Herzog. Deshalb habe er mit einigen Gemeinden nun besprochen, wo man mittels GPS Sperr-, Langsamfahr- und Parkierverbotszonen definieren könnte. «Wir klären derzeit ab, was alles möglich ist.» Die Idee sei es, dass die E-Scooter aber dennoch an gewisse Stellen am See hinfahren können, etwa zum Strandbad Rorschach oder zur Badi Goldach.
Er versuche zudem, sagt Herzog, mit den ÖV-Verbunden Kooperationen auszuarbeiten, sodass deren Abonnenten das Tier-Angebot vergünstigt nutzen können und somit auch die ÖV-Nutzerzahlen erhöht werden können.
«Unser Ziel ist es, dass wir als Zubringer für den ÖV dienen. Wir wollen diesen sicherlich nicht konkurrenzieren.»
Überrascht von den vielen Zusagen
Er sei überrascht gewesen von den vielen Zusagen, sagt Herzog. Dass nun alles viel schneller ins Rollen kam als erwartet, sei auch Michael Götte zu verdanken, der aktiv auf seine Kollegen aus den Nachbargemeinden zugegangen sei. «Er hat uns einige Türen geöffnet», sagt Herzog.
Die vielen neuen Gemeinden bedeuten nun aber auch einen grossen Aufwand für Herzog und sein Team. «Es wird eine Herausforderung sein, überall den gleichen Service leisten zu können. Ich bin aber überzeugt, dass unser Team diesen weiterhin bieten kann.» Klar sei, dass man nun das Team aufstocken müsse. Und vor allem müsse er sich nun darum kümmern, dass alle Fahrzeuge fristgerecht geliefert werden.
Quelle: Tagblatt 08.07.2022, Perrine Woodtli / Bild: Michel Canonica