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St.Galler Regierung bei der EU in Brüssel: SVP und Mitte kritisieren die Reise

Am Montag gab der St.Galler Finanzdirektor Marc Mächler bekannt, dass der Kanton 2025 mit einem Defizit von 200 Millionen Franken rechnet. Einen Tag später reist die gesamte Regierung nach Brüssel zur EU. Dafür hagelt es nun Kritik von SVP und Mitte.

 

St.Gallen tanzt wieder auf dem internationalen Parkett. Für einmal ist damit aber nicht der Fussballclub gemeint. Dieser startet seine Mission in der Conference League erst kommende Woche. Bereits am Dienstag traten die Mitglieder der St.Galler Regierung zu ihrem Auswärtsspiel in Brüssel an. Eine Reise, die auf Widerstand stösst – einmal mehr. Anfang Jahr sorgte die Bildungsreise des Leiters des Amtes für Natur, Jagd und Fischerei sowie eines Wildhüters für Unmut. Die beiden nahmen an einer Wolfsjagd teil. Damals waren zwar keine Mitglieder der Regierung involviert, der Trip wurde jedoch von Regierungsrat Beat Tinner genehmigt.

 

Aber von vorne: Am vergangenen Dienstag, dem Tag nachdem bekannt geworden war, dass der Kanton St.Gallen 2025 mit einem Defizit von 200 Millionen rechnet, reisten die Mitglieder der St.Galler Regierung zusammen mit dem Staatssekretär und der Leiterin der Koordinationsstelle für Aussenbeziehungen nach Brüssel. Dort weilten sie bis am Donnerstagmorgen. Dies bestätigte Staatssekretär Benedikt van Spyk gegenüber dieser Zeitung.

 

Informationsaustausch und Diskussionen

 

Grund für den Besuch in Brüssel ist laut van Spyk, dass St.Gallen in diesem Jahr Gastkanton und Mitgastgeber der «Soirée Suisse» war, «eines Netzwerkanlasses der Mission der Schweiz bei der EU, der Schweizer Botschaft in Belgien und der Schweizer Mission bei der Nato». Jedes Jahr wirkt ein anderer Kanton als Gastkanton dieses Anlasses.

 

Im Vorfeld hätten sich die Mitglieder der St.Galler Regierung mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern aus dem In- und Ausland unterhalten. An der «Soirée Suisse» seien diese Gespräche dann fortgesetzt worden. Das Treffen wurde laut van Spyk «zum Informationsaustausch genutzt sowie zur Diskussion aktueller europapolitischer Themen, die für den Kanton St.Gallen als stark exportorientierter Kanton relevant sind». All dies selbstredend in Absprache mit dem Bund.

 

Unverständnis bei der SVP

 

 

Der St.Galler SVP-Nationalrat Michael Götte teilt diese Euphorie nicht. «Die ganze Regierung in Brüssel? Das bringt nichts.» Er wolle damit nicht sagen, dass Regierungsvertreter nicht reisen dürfen. Man müsse sich jedoch die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellen, wenn die ganze Regierung dafür nach Brüssel reise. Vom Besuch erwartet der SVP-Nationalrat denn auch keine grossen Erfolge. Diese seien «sehr überschaubar», und in Anbetracht dessen, dass die Gesamtregierung dafür nach Brüssel reise, sei die Begründung «völlig übertrieben».

 

Die Reise an sich stört Götte weniger als die Tatsache, dass man sie auf ein Podest hebe. «Wenn es nur darum geht, ein ‹Regierungsreisli› nach Brüssel zu machen, dann soll man es auch so betiteln», sagt er abschliessend.

 

Auch sein Parteikollege und Kantonsrat Sascha Schmid kann der Reise nicht viel Positives abgewinnen. «Wir kritisieren das Unterfangen ganz klar», gibt er zu verstehen. Eine Delegation von ein bis zwei Vertretern hätte seiner Meinung nach gereicht. Wie Götte gibt er aber zu verstehen, dass es durchaus dazugehöre, solchen Veranstaltungen beizuwohnen.

 

Auch die Mitte ist wenig erfreut

 

Für einmal scheinen sich Mitte und SVP einig zu sein. Franziska Steiner-Kaufmann, Kantonsrätin und Präsidentin der Mitte St.Gallen, sagt dazu: «Ich habe wenig Begeisterung für Polittourismus.» Sie würde es begrüssen, wenn man in einer bescheideneren Delegation aufwarten würde, gibt jedoch zu bedenken, dass sie nicht beurteilen könne, ob es als Affront aufgefasst würde, wenn nicht die ganze Regierung anreisen würde.

 

Diesbezüglich schafft ein Blick in die Vergangenheit Klarheit. Sowohl die Genfer Regierung 2023 als auch die Zürcher, die vor zwei Jahren als Gastkanton wirkten, reisten nur mit einer Delegation von drei beziehungsweise vier Vertretern an. Es scheint also, als ob es in Brüssel nicht als Beleidigung aufgefasst wird, wenn nicht alle Mitglieder der Regierung zum EU-Hauptsitz reisen.

 

Eine unmittelbare Wirksamkeit des Besuchs sieht auch Franziska Steiner-Kaufmann nicht. Netzwerken sei jedoch sicher nicht falsch. Zudem könnte nachgelagert etwas bewirkt werden, wenn man ein Bewusstsein schaffe und präsent sei. Nichtsdestotrotz erachtet sie das Verhalten der St.Galler Regierung als «kritisch, aber nicht skandalös». «Ich hoffe, alle Regierungsmitglieder haben die Reise im Sinne des Kantons gewinnbringend genutzt», sagt die Mitte-Kantonsrätin.

 

Gegenseitiges Verständnis fördern

 

 

Stefan Züger, Geschäftsführer der Mitte des Kantons St.Gallen, pflichtet seiner Präsidentin bei. Auch er mahnt zur Bescheidenheit und fragt sich, ob es nicht auch andere Lösungen gegeben hätte. Ein einmaliger Besuch könne für die Regierung aber durchaus weiterbildend sein. So könne die St.Galler Regierung allenfalls Vertretern der EU, aber auch den Schweizer Vertretern in Brüssel erklären, wo die aktuellen Herausforderungen im Ostschweizer Grenzkanton lägen, und mehr über die Strukturen und Abläufe bei der EU lernen.

 

Trotz dieser möglichen Vorteile sagt der Geschäftsführer der Mitte St.Gallen abschliessend: «Ich würde es begrüssen, wenn unsere Regierung zurückhaltend bleibt mit Gesamtbesuchen.»

 

Staatssekretär rechtfertigt die Reise

 

 

Darauf angesprochen, dass in den vergangenen Jahren von den kantonalen Regierungen jeweils nur Delegationen nach Brüssel geschickt wurden, antwortet Staatssekretär van Spyk: «Die Möglichkeiten der Mitglieder der Regierung, an einem solchen Anlass teilzunehmen, hängen immer auch von Terminen ab.»

 

Man habe den Beginn der neuen Amtszeit als guten Zeitpunkt erachtet, «dass sich die Mitglieder der Regierung aus erster Hand informieren lassen und die für sie relevanten Kontakte aufbauen können».

 

Die Kosten der Reise belaufen sich laut van Spyk auf 1600 Franken pro Person. Der Kanton lässt sich den Besuch in Brüssel insgesamt also knapp 15’000 Franken kosten. Die Regierung ist in der gleichen Maschine hin- und zurückgeflogen. «Eine Aufteilung war einmal angedacht. Aufwand und Kosten dafür wären aber nicht verhältnismässig gewesen, da das Flugzeug als sehr sicher gilt», sagt van Spyk.

 

50 Kilogramm Käse im Gepäck

 

 

Die St.Galler Regierung reiste nicht mit leeren Händen nach Brüssel. Beim Buffet der «Soirée Suisse», an der 600 geladene hochrangige Gäste aus der «EU-Bubble» in Brüssel teilnahmen, wurde unter anderem Käse und Fleisch aus dem Toggenburg aufgetischt. Dafür hat Willi Schmid, der Käsekönig aus Lichtensteig, 50 Kilogramm Käse nach Belgien geliefert. Beobachter, die selber eingeladen waren, sagen, St.Gallen habe sich gut präsentiert.

 

Zudem wurden den Gästen an der «Soirée Suisse» St.Galler Bratwürste angeboten. Selbstverständlich erklärte Regierungsrätin Susanne Hartmann den Anwesenden, dass dazu kein Senf, sondern Rösti und Zwiebelsauce serviert werden.

 

Originalartikel: Tagblatt, 28.9.2024

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