Sie sollte die Aviatik revolutionieren, darf bis jetzt aber nur mit Begleit-Heli fliegen
Als «erste Drohne mit automatischem Ausweichsystem» pries sie Ueli Maurer einst an. Zehn Jahre später ist ihre Zulassung in weiter Ferne – und die Geduld der Politik langsam am Ende.
In Kürze:
- Die Tests mit Hermes-900-Drohnen mussten nach Absturz in Indien gestoppt werden.
- Wegen technischer Hürden und Zusatzkosten droht der Drohnenbeschaffung ein Debakel.
- Politiker stellen mittlerweile infrage, ob noch mehr Mittel ins Projekt fliessen sollen.
Drei Stunden waren seit Viola Amherds überraschender Rücktrittsankündigung vergangen, da verschickte das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) ein knapp gehaltenes Communiqué. Obwohl der Inhalt explosiv war, flog die Meldung im allgemeinen Trubel jenes denkwürdigen Tages sprichwörtlich unter dem Radar.
In Indien sei eine Aufklärungsdrohne Hermes 900 des israelischen Herstellers Elbit abgestürzt, teilte das Rüstungsamt mit. «Wie in der Aviatik in solchen Fällen üblich, wird bis zur Klärung der Absturzursache der Flugbetrieb des entsprechenden Typs weltweit ausgesetzt», so Armasuisse. Sämtliche Testflüge mit der Drohne würden bis auf weiteres ausfallen.
Der Crash in Indien war nach Griechenland (2019), Israel (2020) und den Philippinen (2022) bereits der vierte verbriefte Absturz einer Hermes-900-Drohne. Dass die unbemannten Flugobjekte des israelischen Herstellers in besorgniserregender Regelmässigkeit vom Himmel fallen, liefert aber nur teilweise die Erklärung, weshalb das Beschaffungsprojekt der Schweizer Armee in diesen Tagen und Wochen spektakulär zu scheitern droht.
Mit der Geduld langsam am Ende
Die Beschaffung unter dem Projektnamen ADS 15 hatte einst den Anspruch, die internationale Luftfahrt zu revolutionieren (ADS steht für Aufklärungsdrohnensystem). «Es werden die ersten Drohnen sein, die ein automatisches Ausweichsystem gegenüber anderen Flugkörpern haben», sagte der damalige Verteidigungsminister Ueli Maurer 2015 im Parlament, als die Beschaffung besiegelt wurde. Noch im selben Jahr wurde der Auftrag an die Firma Elbit für die Lieferung von sechs Hermes-Drohnen für 250 Millionen Franken erteilt.
Weil die Schweiz noch einige Zusatzfunktionen verlangte – unter anderem den Einbau eines Dieselmotors –, verteuerte sich die Drohne um fast das Doppelte. Dennoch herrschte zu dieser Zeit noch grosse Zuversicht. Bereits 2020 sollten die Hermes-Drohnen im zivilen Luftraum unterwegs sein und mithelfen, den Schweizer Grenzraum zu überwachen. Auch eine weitere Aufrüstung der Drohne für «Signal Intelligence», also die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung, wurde da bereits angedacht.
Heute schreiben wir das Jahr 2025, und von einer Zulassung der Drohne ist die Schweiz weiterhin Jahre entfernt. Im Parlament ist man mit der Geduld langsam am Ende. Das Projekt habe nach wie vor «erhebliche Risiken betreffend der technischen Machbarkeit, der Zulassung und den Kosten», warnte die Finanzdelegation des Parlaments kurz vor Jahresende Verteidigungsministerin Amherd in einem Brief. Das war noch vor dem Absturz in Indien.
Der Heilige Gral der Aviatik
Neben den vielen Crashs bereiten den Sicherheitspolitikern in Bern vor allem die zusätzlichen Funktionen der Drohne Bauchschmerzen – der sogenannte «Swiss Finish». Was Ueli Maurer seinerzeit als erstes «automatisches Ausweichsystem für Drohnen» anpries, heisst in der Fachsprache «Detect and avoid» (erkennen und ausweichen), kurz DAA. Ein solches System muss andere Flugobjekte in der Luft erkennen, deren Bewegungen analysieren und rechtzeitig Massnahmen einleiten, um Kollisionen zu vermeiden.
Ein DAA-System, das für den zivilen Luftraum kompatibel ist, ist bis heute so etwas wie der Heilige Gral in der Aviatik. In keinem Land der Erde gibt es bisher ein DAA, das die strengen Zulassungskriterien erfüllt. Kein Wunder: Versagt das System, könnte es zu einem Crash mit potenziell Hunderten von Toten führen.
Die grossen europäischen Rüstungsfirmen Thales (Frankreich), Leonardo (Italien), Hensoldt (Deutschland) und Saab (Schweden) tüfteln seit 2021 gemeinsam an einem DAA-System. Das vom EU-Förderprogramm «Horizon 2020» unterstützte Projekt strebt eine Zulassung für das Jahr 2027 an.

Foto: Raphael Moser
In der Schweiz ging man im Jahr 2015 die Wette ein, diese Aviatik-Revolution alleine bewerkstelligen zu können. Richten sollte es die krisenbehaftete Ruag MRO,die 2019 nach der Aufspaltung des Ruag-Konzerns entstanden ist. Der Kernauftrag dieses Unternehmens ist eigentlich die Wartung, Reparatur und Überholung des Schweizer Waffenarsenals – nicht das Vollbringen von Hightech-Innovationen.
Obwohl das DAA-System bereits erhebliche Verspätung aufweist, gibt sich Armasuisse weiterhin optimistisch. «Das DAA ist in Entwicklung», so Sprecher Kaj-Gunnar Sievert. 2026 soll es in die Drohne integriert werden, 2028 die Zulassung erhalten. Auch was den Wettstreit mit den europäischen Rüstungsfirmen anbelangt, gibt man sich bei Armasuisse kämpferisch. «Das Projekt DAA der Ruag ist weiter vorangeschritten und differenziert sich in den Zielen», so Sievert.
Die Ruag MRO teilt auf Anfrage mit, dass sie «nach derzeitigem Wissensstand» den Lieferzeitpunkt 2026 einhalten könne. «Wir können jedoch weder Aussagen über die Entwicklungen bei der Drohne selbst machen, noch können wir uns zum Zulassungsprozess äussern», sagt Ruag-Sprecherin Kirsten Hammerich. Dieser Prozess werde von der Schweizerischen Militärluftfahrtbehörde durchgeführt.
Schon 300 Millionen Franken verbraten
Klar ist: Solange kein funktionstüchtiges und für den zivilen Luftverkehr zugelassenes DAA-System an Bord ist, bleibt die Drohne mehr oder weniger nutzlos. Für Testflüge muss der Luftraum für den zivilen Flugverkehr heute entweder gesperrt werden – oder die Drohne wird von einem Helikopter oder Kleinflugzeug begleitet. Eine absurde Vorstellung, gerade auch vor dem Hintergrund, dass die 40 Millionen Franken teuren Drohnen auch deshalb beschafft wurden, weil sie 24 Stunden lang in der Luft bleiben können.
Die Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission, Priska Seiler Graf (SP), spricht bei der Beschaffung von einem «Trauerspiel in mehreren Akten». In der Kommission würden die Fachleute der Ruag und der Armasuisse bereits seit Jahren voraussagen, dass das System kurz vor dem Durchbruch stehe. Der Absturz der Hermes 900 in Indien müsse nun die Initialzündung sein, das Projekt noch einmal zu überdenken. «Es braucht jetzt eine realistische Lagebeurteilung», sagt Seiler Graf. Beim VBS müsse man sich auch die Frage stellen, ob ein Abbruch der Übung nicht die beste aller schlechten Lösungen wäre.
Auch SVP-Sicherheitspolitiker Michael Götte fordert nach dem Absturz in Indien eine erneute Lagebeurteilung des VBS. «Wir sind bereits ewig an dieser Übung dran», so Götte. Als er jüngst erfahren habe, dass die Drohnen von Helikoptern begleitet werden müssen, sei ihm beinahe «anders geworden». Die Zeiten, in denen man im Rüstungsbereich Geld in waghalsige Innovationsprojekte stecken konnte, seien nun definitiv vorbei. «Wir brauchen Rüstungsgüter ab Stange, die im Ernstfall auch funktionieren», sagt Götte.
Wenn das Projekt nicht bald einmal zu fliegen kommt, könnte die Politik bald den Geldhahn zudrehen. Die bisherigen Ausgaben sind bereits beträchtlich. Zusammen mit den entstandenen Mehrkosten sind bereits 300 Millionen Franken in das Projekt geflossen.
Dabei gab es wenige Monate vor der Beschaffung im Parlament noch einen kaum überhörbaren Warnhinweis.

Foto: Getty Images
2013 platzte in Deutschland der «Euro Hawk»-Skandal. Die Bundeswehr hatte 2007 für 780 Millionen Euro fünf Aufklärungsdrohnen des amerikanischen Rüstungskonzerns Northrop Grumman bestellt. Nachdem die Drohnen ausgeliefert worden waren, stellte die Bundeswehr erstaunt fest, dass weitere Investitionen von 500 Millionen Euro nötig wären. Dies – man ahnt es –, um ein DAA-System für den zivilen Luftraum zu entwickeln.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière entschied daraufhin, die Übung abzubrechen. Heute steht ein «Euro Hawk»-Modell quasi als Mahnmal im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Berlin.