Der Kanton St.Gallen will die Kleinsten besser unterstützen – doch was alle befürworten, wird zum politischen Tauziehen
Schon vor dem Schulbeginn können bei Kindern Defizite entstehen. Die Kantonsregierung ringt deshalb um bessere Förderung im Kleinkindalter. Doch im ersten Anlauf ist sie am Widerstand der Parteien gescheitert. Im zweiten Anlauf kündigt sich nun Widerstand aus den Gemeinden an. Dabei sind sich im Grundsatz alle einig.
Die geistige Entwicklung von Kindern beginnt schon vor dem Eintritt in den Kindergarten. In der frühsten Jugend beginnen wichtige Prozesse, die die ganze Schulzeit nachwirken – im Positiven wie im Negativen. Oder wie der Kanton St.Gallen es formuliert: «Die Schulen sind beim Eintritt von Kindern oftmals mit fehlenden sozialen, sprachlichen oder weiteren Kompetenzen konfrontiert.»
Das Gegenmittel gegen frühe Defizite heisst frühe Förderung. Seit 2015 hat der Kanton eine Strategie dazu. Doch er muss sie anpassen: Gleich sieben Aufträge hat der Kantonsrat in den vergangenen Jahren an die Regierung überwiesen. Mit einer umfangreichen Anpassung des kantonalen Familienrechts möchte die Regierung die Forderungen umsetzen. Doch ihr erster Vorschlag war in der Vernehmlassung auf so viel Kritik gestossen, dass nun ein zweites Verfahren läuft. Und auch dieses Mal gibt es laute Kritik.
Frühe Förderung geht weit über Betreuungsangebote wie Kindertagesstätten und Spielgruppen hinaus: Der Kanton zählt auch Mütter- und Väterberatung, Begegnungsorte, Erziehungsberatung, Elternbildung- und Information sowie Unterstützungsangebote für Familien mit besonderen Bedürfnissen dazu.
Der erste Anlauf ist misslungen
Ende Juni 2024 hatte die Regierung eine erste Gesetzesänderung zur frühen Förderung in die Vernehmlassung gegeben. An den Grundsätzen hat sich seitdem nichts geändert: Die frühe Förderung soll ausgebaut werden. Dabei will der Kanton den Rahmen abstecken, die Umsetzung soll allerdings ähnlich wie im Volksschulwesen auf Gemeindeebene passieren.
Die Gemeinden sollen nach Wunsch der Regierung eine bedarfsgerechte, ganzheitliche und qualitativ adäquate Förderung anbieten. Doch der erste Vorschlag der Regierung hierzu erhielt wenig Zuspruch.
Der Kanton fasst die Kritik aus der ersten Vernehmlassung wie folgt zusammen: Ein grosser Teil der politischen Parteien fordere «neben einer stärkeren Verbindlichkeit für Gemeinden im Bereich der frühen Förderung auch die Möglichkeit zur stärkeren Verbindlichkeit für Familien.»
Konkretere Vorgaben beim zweiten Versuch
Ein Jahr nach der ersten Vernehmlassung hat der Kanton die Vorlage nachgeschärft und zum zweiten Mal zur Vernehmlassung aufgelegt. Der Kanton fasst die Vorlage in vier zentralen Punkten zusammen, die gesetzlich verankert werden sollen:
- Die Gemeinden müssen ein bedarfsgerechtes, ganzheitliches Angebot zur Verfügung stellen.
- Die Gemeinden müssen ein Konzept für das Angebot vorlegen, das zudem die Vernetzung und Abstimmung unter den Gemeinden fördert.
- Der Kanton will eine obligatorische Erhebung einführen, bei der der Entwicklungsstand aller Kinder im Kanton im dritten Lebensjahr ganzheitlich erfasst werden soll.
- Eltern sollen Empfehlungen für den Besuch von Angeboten erhalten, abhängig von der Entwicklungsstanderhebung sollen Angebote auch obligatorisch sein.

Karin Hasler, SP-Kantonsrätin und Präsidentin der SP-Fachkommission Bildung.
Karin Hasler ist SP-Kantonsrätin und Präsidentin der parteiinternen Fachkommission Bildung. Sie hatte bereits die Antwort der SP zur ersten Vernehmlassung formuliert. Die zweite Antwort steht noch aus. Hasler sieht jedoch bereits grosse Fortschritte: «Die Kommission erachtet die Entwicklungsstandserhebung und ein verpflichtendes Konzept der Gemeinden, jedoch auch eine stärkere Einbeziehung der Eltern als grossen Fortschritt.»
Die Kostenfrage ist noch offen
Noch ist unklar, ob die Vorlage im zweiten Anlauf die Hürde der Vernehmlassung nimmt. Denn die vielleicht gewichtigste Frage bleibt teilweise offen: jene nach den Kosten.
Für den Kanton, der selbst aufgrund jüngster Defizite sparen muss, sollen die Unterstützungsarbeiten im Rahmen der bestehenden Ressourcen erfolgen. Für die Gemeinden hingegen könne noch keine abschliessende Aussage getroffen werden, heisst es in der Vernehmlassungsvorlage. Insbesondere für die Entwicklungsstanderhebung dürften sie erheblich sein: Bei rund 5600 Dreijährigen pro Jahrgang im Kanton schätzt die Regierung die Kosten auf rund 1,1 Millionen Franken, verteilt auf alle Gemeinden. Hinzu kämen 400’000 Franken für die Führung der Dossiers zu den Fällen.
Darüber hinaus gibt es Kosten für die Angebote, die sich aber nicht abschätzen lassen. Viele Gemeinden haben bereits Angebote zur frühen Förderung. Wie sehr diese angepasst oder erweitert werden müssen, ist vom aktuellen Stand abhängig.
Kritik ist programmiert

Michael Götte, SVP-Nationalrat und Gemeindepräsident von Tübach.
Auch wenn noch keine offiziellen Stellungnahmen vorliegen: Die kantonalen Verbände der Gemeindepräsidenten (VSGP) und der Schulträger (SGV) dürften sich in der Vernehmlassung kritisch äussern. Michael Götte, SVP-Nationalrat und Gemeindepräsident in Tübach, verfolgt die Debatte um die frühe Förderung seit vielen Jahren. Er sagt: «Am Ende wird es die Gemeinden und Schulgemeinden mehr kosten. Dagegen werden sie sich wehren.»
Götte spricht der frühen Förderung keinesfalls die Relevanz ab. Diese ist parteiübergreifend anerkannt. Die Regierung betont den grossen, langfristigen volkswirtschaftlichen Nutzen: Werden die Kinder früh gefördert, können sie später mehr zur Wirtschaftsleistung beitragen und belasten das Sozialsystem weniger. Das ist auch unter den Parteien Konsens.
Doch den Gemeinden die finanzielle Last der frühen Förderung aufzubürden, sei problematisch, so Götte. Gerade kleinere Gemeinden wie Tübach hätten begrenzte Ressourcen. «Wenn der Kanton zusätzliche Aufgaben beschliesst, muss er auch bereit sein, einen fairen Teil der Kosten zu tragen – sonst gefährdet er die finanzielle Handlungsfähigkeit der Gemeinden.»
Damit dürfte die frühe Förderung den Kanton noch länger beschäftigen: Ende August ist die Vernehmlassung vorbei, danach wird der Kantonsrat über die Gesetzesanpassungen beraten. Schliesslich untersteht die Gesetzesänderung dem fakultativen Referendum – sollte es der Regierung nicht gelingen, alle Positionen auf einen Nenner zu bringen, könnte am Ende das Volk entscheiden.

















































































































































































































































































































































