Sorge um Arbeitsplätze: Soll der Staat die Industrie unterstützen? Das sagen Ostschweizer Politikerinnen und Politiker dazu
Gerade seit Corona und dem Ukraine-Krieg stützen immer mehr Staaten mit Subventionen ihre Industrien. Die Schweiz hält sich hier bisher zurück. Doch mit der drohenden Schliessung des Stahlwerks in Gerlafingen und den Schliessungen zweier Textilbetriebe in der Region hat die Diskussion auch die Ostschweiz erreicht.
«Ich sehe es bei unseren Mitgliedern in der Industrie», sagt Florian Kobler, Präsident des Gewerkschaftsbundes des Kantons St.Gallen. «Sie machen sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze.» Nicht umsonst: In der Textilindustrie kam es mit der Ankündigung der Schoeller Textil in diesem Jahr schon zu zwei grösseren Schliessungen. Zu Stellenabbau kam es auch in der Ostschweizer Maschinen- und Metallindustrie, wenn auch eher schleichend. Hier fehlen vor allem Aufträge aus Deutschland.
«Und die Aussichten sind nicht rosig», sagt der Gossauer SP-Kantonsrat Kobler. Der Schweiz drohe eine weitere Deindustrialisierungswelle. Gerade für die Ostschweiz, wo der Sektor wichtig sei, wäre das verheerend. In einem Vorstoss fragt Kobler die St.Galler Regierung deshalb, was diese tun könne, um Arbeitsplätze in der Industrie zu sichern.
Nachbarländer subventionieren Energie
Er spricht auch die Energiepreise an. Schweizer Firmen zahlen heute deutlich mehr für Strom als die Konkurrenz in den Nachbarländern. Diese halten die Energiepreise für Firmen mit Subventionen und anderen Massnahmen künstlich tief. Ähnliche Schritte müsste man sich wohl auch bei uns überlegen, meint Kobler. Dabei sähe er zwar am liebsten Subventionen für nachhaltige Projekte. Doch auch generelle Erleichterungen müssten hier diskutiert werden. «Aus Gewerkschaftssicht steht der Erhalt der Arbeitsplätze im Vordergrund.»
Auf nationaler Ebene ist die Diskussion schon im Gange. Stahl Gerlafingen ist von der Schliessung bedroht. Politiker fordern vom Bund Massnahmen, um das Stahlwerk zu retten. Eine entsprechende Motion des SVP-Nationalrats Christian Imark haben nicht nur Solothurner Politiker mitunterzeichnet. Auch die Thurgauer Nationalrätin und Parteikollegin Diana Gutjahr hat sie unterstützt.
Denn für die Mitinhaberin des Romanshorner Metallbaubetriebs Ernst Fischer AG sind Stahl Gerlafingen und die ebenfalls kriselnde Swiss Steel ein Stück Versorgungssicherheit. Die Stahlwerke seien eine Basisindustrie. «Metallschrott fällt jeden Tag an», sagt Gutjahr. «Diese Werke machen daraus wieder den Stahl, den wir verbauen.» Das künftig im Ausland zu tun, sei auch ökologisch ein Unsinn.
Gutjahr: Politik hat hohe Strompreise zu verantworten
Doch sie sieht noch einen anderen Grund, weshalb der Staat hier eingreifen soll: «Die Politik ist auch verantwortlich dafür, dass es so weit gekommen ist», sagt Gutjahr. Und meint damit die hohen Energiekosten, die nicht zuletzt Folge der neuen Energiestrategie seien – vor allem über die Netznutzungsgebühren. «Wir zahlen damit zum Beispiel die Reservekraftwerke in Birr, die noch kein Kilowatt Strom geliefert haben.»
Tiefere Netzgebühren für die betroffenen Unternehmen gehören auch zum Massnahmenpaket, das auf Bundesebene nun auf dem Tisch liegt. Der Branchenverband Metal Suisse, den Gutjahr präsidiert, betont, dass es dabei nur um befristete Massnahmen für die Rettung der betroffenen Unternehmen gehe. Trotzdem hält Gutjahr die Senkung dieser Gebühren für angebracht – es wäre ein dringendes Zeichen, sagt sie: «Die Industrie hat keinen Wert mehr. Es scheint, wer sich die Hände schmutzig macht, ist nicht mehr wichtig.»
Rahmenbedingungen sind wichtiger
Ihre Partei ist in der Frage allerdings gespalten. «Ich war hin- und hergerissen», sagt Michael Götte, SVP-Nationalrat und Gemeindepräsident von Tübach. Zumal dort mit der Zingg Recycling ein Unternehmen steht, das die Schweizer Stahlwerke mit Metallschrott beliefert. Dass die Lastwagen bald nach Deutschland fahren könnten, erscheine zwar wenig sinnvoll.
Trotzdem solle der Staat die Unternehmen nicht mit Subventionen unterstützen, sondern mit guten Rahmenbedingungen wie dem Abbau der Bürokratie. «Wir hätten, gerade hier in der Ostschweiz, auch die Textilindustrie retten können», sagt Götte. «Das haben wir nicht getan.»
Und doch sei die Branche in der Ostschweiz immer noch präsent, wenn auch mit deutlich weniger Beschäftigten als zu Blütezeiten. «Trotzdem klagen wir nicht über Arbeitslosigkeit, sondern über Arbeitskräftemangel.»Ein Grund, um stolz zu sein auf die Schweizer Industrie. «Probleme wie die Aufwertung des Frankens haben sie am Ende immer stärker gemacht. Ich bin mir sicher, dass dies auch jetzt der Fall sein wird.»
«Schweiz hat ein Infrastrukturproblem»
Auch der Grabser FDP-Kantonsrat Christian Lippuner setzt auf die Innovationskraft der Ostschweizer Industrie. Die Energiekosten sieht er allerdings auch als grosses Problem. «Die Strompreise drücken auf die Wettbewerbsfähigkeit und führen zu Deindustrialisierung.» Wohin das führen könne, werde an den jüngsten Betriebsschliessungen energieintensiver Unternehmen in der Ostschweiz sichtbar.
Und doch sieht er in Subventionen keine Lösung. Mit Vorstössen wie jenem von Florian Kobler habe er deshalb Mühe. «Man ruft in Einzelfällen nach dem Staat. Doch wo führt das hin?», fragt Lippuner. Mit Subventionen mal hier, mal da betreibe man Pflästerlipolitik, die am Ende zu Planwirtschaft führe. «Und die hat noch nie funktioniert.» Die Lösung liege woanders: «Die Energieproduktion im Inland muss massiv ausgebaut werden.» Allerdings stünden Ausbauprojekten oft dieselben linksgrünen Kreise entgegen, die jetzt dann nach dem Staat riefen. «Die Schweiz hat ein Infrastrukturproblem.» Das habe auch die Abstimmung über den Autobahnausbau gezeigt.
Ständige Fitnesskur
Das sieht auch Markus Bänziger so, Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. «Unsere Energieversorgung lebt heute noch von den massiven Investitionen in den 1960er- bis 1980er-Jahren.» Nun seien ähnliche Investitionen nötig. Auch ein Strommarktabkommen mit der EU sei nötig, nicht aber Subventionen für die Industrie. Dass manche Regierungen so Industriepolitik betreiben, sei zu verurteilen. Mitmachen müsse die Schweiz dabei aber nicht. «Hier mitzuhalten, kann sich die Schweiz finanziell nicht leisten.»
Die Stärke der Schweizer Exportindustrie beruhe auf Innovationskraft und einem flexiblen Arbeitsmarkt. Der starke Franken und die höheren Kosten wirkten zudem wie eine Fitnesskur. «Sie zwingen die Schweizer Industrie dazu, innovativ zu bleiben», sagt Bänziger, und sie bleibe deshalb dynamisch – im Gegensatz zum subventionierten Industriestandort Deutschland.
Den betroffenen Betrieben helfen Pläne für neue Kraftwerke oder allfällige Verträge mit der EU heute aber nicht weiter, das weiss auch Bänziger. Einen Ansatzpunkt sieht auch er deshalb bei den Netzentgelten: «Es ist wichtig, dass diese unter Kontrolle bleiben.»