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Landesverweis kassiert, ausgereist, aber schon wieder zurück: Der Fall eines Flüchtlings aus Eritrea sorgt für Unmut

Weil eine Ausschaffung nicht zulässig ist, bleibt ein verurteilter Flüchtling aus Eritrea in Kirchberg – auf Kosten der Gemeinde. Der Fall wirft Fragen über Gesetzes­vollzug und Menschen­rechte auf.

 

In Kürze:

  • Ein eritreischer Flüchtling in Kirchberg erhält trotz Landesverweis weiterhin Sozialhilfe – zum Unmut der Gemeinde.
  • Die SVP fordert Nothilfe statt Sozialhilfe für freiwillig Ausgereiste, die zurückkommen.
  • SVP-Nationalrat Pascal Schmid prüft eine Motion, die Personen, die einen Landesverweis erhalten haben und nicht ausreisen können, in Drittstaaten abschieben soll.
  • Die Grünen betonen den Vorrang des Völkerrechts bei nicht umsetzbaren Landesverweisen. 

Urteil: Landesverweis. Vollzug: nicht möglich. Was passiert mit Menschen, die aufgrund einer Straftat die Schweiz verlassen müssten, es aber nicht können, weil eine Rückkehr in ihr Heimatstaat nicht zulässig ist?

Seit 2023 erfasst das Staatssekretariat für Migration, auf wie viele Personen das zutrifft. Von 2293 Personen, die im Jahr 2023 von einem kantonalen Strafgericht eine vollziehbare Landesverweisung erhalten haben, wurde 31 Personen ein sogenannter Aufschub gewährt – etwa weil sie in ihrem Heimatstaat von Tod, Folter oder Verfolgung bedroht wären.

Eine Person, auf die diese Situation zutrifft, lebt in der Gemeinde Kirchberg im Kanton St. Gallen. Der Mann stammt aus Eritrea, einem diktatorisch geführten Land, in dem Verfolgten Folter und unmenschliche Behandlung droht. Weil der Mann einen Flüchtlingsstatus hat, ist seine Rückführung unzulässig. Wäre er nicht als Flüchtling anerkannt, könnte er trotzdem nicht zurückgeführt werden, da Eritrea keine zwangsweisen Rückführungen akzeptiert. Er würde aber in der Schweiz nur Nothilfe erhalten. Weil er den Flüchtlingsstatus hat, erhält er – zum Ärger der Gemeinde – Sozialhilfe und damit mehr Geld.

Wie die NZZ schreibt, frustriert der Fall den FDP-Gemeindepräsidenten Roman Habrik und die Einwohnenden von Kirchberg. Für die Gemeinde sei es ein Affront, dass sie mit Steuergeldern unkooperative und kriminelle Flüchtlinge gleich behandeln müsse wie Personen, die unverschuldet arbeitslos geworden seien, sagt Habrik. Und gleichzeitig dürften die Gemeindeangestellten, die mit dem Mann in der Integration arbeiteten, aufgrund des Persönlichkeitsschutzes nicht einmal wissen, was der Mann für eine Straftat begangen habe. «Ich zweifle an unserem System», sagt der Gemeindepräsident.

Die SVP gibt Habrik nun Rückendeckung. Sie will wegen des Falls Kirchberg zwei Motionen im Nationalrat einreichen.

 

SVP möchte eine Ausweisung in Drittstaaten

 

Der erste Vorstoss stammt vom St. Galler Nationalrat Michael Götte. Der Entwurf steht bereits. Für Götte offenbart der Fall eine «absurde, strukturelle Schwäche im geltenden Asyl- und Sozialhilferecht». Vor allem stört ihn, dass die Person aus Kirchberg freiwillig nach Luxemburg reiste, dort aber wegen des Dublin-Abkommens keinen Antrag auf Asyl stellen konnte – die Schweiz bleibt als erstes Land, in dem der Mann um Asyl ersucht hatte, zuständig.

Nach wenigen Monaten kehrte der Mann wieder in die Schweiz zurück. «Wer freiwillig ausreist und dann wieder einreist, sollte keinen Anspruch auf staatliche Leistungen haben», sagt Götte. Statt Sozialhilfe solle die Person in solchen Fällen höchstens Nothilfe, also Minimalzahlungen, bekommen.

Sein Parteikollege, der Thurgauer Nationalrat und SVP-Asylchef Pascal Schmid, geht noch weiter: «Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene müssen künftig jegliches Bleiberecht in der Schweiz verlieren, wenn sie ein Verbrechen begehen.» Personen, die sich weigern würden, die Schweiz zu verlassen, und nicht ausgeschafft werden könnten, würde er deshalb in einen Drittstaat abschieben.

Er prüfe momentan einen Vorstoss, der verlange, dass «Drittstaatenlösungen für abgewiesene, illegale und kriminelle Asylmigranten gesucht werden müssen», sagt Schmid. Als mögliche Drittstaaten nennt er Marokko, Tunesien, Ägypten, Ghana, Senegal oder Georgien.

 

Bisher gibts noch keine Lösung für Drittstaatenlösungen

 

Ein solches Vorhaben ist nicht neu, FDP-Ständerätin Petra Gössi forderte bereits im April 2024 ein Transitabkommen, welches es ermöglichen soll, abgewiesene eritreische Asylsuchende via Drittstaat in ihre Heimat zurückzuführen. Ihr Vorstoss wurde an den Bundesrat überwiesen. Ob er umsetzbar ist und die gewünschte Wirkung hätte, ist aber fraglich, da Eritrea auch aus anderen Ländern seine Bürger nicht zurücknimmt.

Drittstaatenlösungen werden immer wieder gefordert, unter anderem auch in Italien und Grossbritannien. Bisher ist diesen Ländern noch keine entsprechende Lösung gelungen.

Schmid plant trotzdem nachzudoppeln, um das Problem der nicht umsetzbaren Rückführung von Personen mit Landesverweis zu lösen. «Bei Kriminellen gilt für mich Nulltoleranz, die öffentliche Sicherheit geht vor. Auch Flüchtlinge müssen sich an das Gesetz halten, egal von welchem Delikt wir sprechen.»

Tatsächlich ist im Fall Kirchberg nicht viel über die Straftat des Flüchtlings bekannt. Aufgrund des Daten- und Persönlichkeitsschutzes bleiben die Details verborgen. Der Mann wurde laut NZZ im Jahr 2021 verurteilt und verbüsste eine Freiheitsstrafe. Da er aber bereits im Frühling 2023 wieder nach Kirchberg zog, liegt die Vermutung nah, dass es sich nicht um ein besonders schweres Delikt handelte.

Im Strafgesetzbuch reicht die Spanne für Taten, die zu Landesverweisen führen können, von Tötung über Körperverletzung, Raub, Erpressung, Betrug oder Diebstahl mit Hausfriedensbruch bis hin zur Störung des öffentlichen Verkehrs.

 

Völkerrecht hat Vorrang

 

Für Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli zeigt der Fall Kirchberg keine Lücke im System. Im Gegenteil: «Es ist alles ganz klar reglementiert.» Das Völkerrecht stehe über der Schweizer Gesetzgebung. Personen, die wie im Fall Kirchberg einen Landesverweis erhalten, verlieren zwar automatisch ihr Asylrecht in der Schweiz, aber sie behalten den Flüchtlingsstatus. Die Flüchtlingskonvention von 1951 bleibt weiterhin anwendbar. Und dieser Status «ist nicht etwas, was sich anhand der Nettigkeit einer Person misst, sondern anhand der ‹Unnettigkeit› des Herkunftslandes», so Glättli.

Das Völkerrecht sei zu respektieren. Dies ist auch demokratisch legitimiert: 2018 hat die Schweiz mit 66 Prozent deutlich die Selbstbestimmungsinitiative der SVP abgelehnt, welche verlangte, dass die Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht zum Beispiel bei Ausschaffungen Vorrang haben solle.

Glättli betont zudem, dass die Schweiz schon heute Möglichkeiten habe, Personen zu verwahren oder auszuschaffen, welche die innere Sicherheit gefährden würden. Das Non-Refoulement-Gebot sieht auch Ausnahmen vor. «Es ist aber ein Unterschied, wenn jemand schwerstkriminell ist und mordet oder einen terroristischen Anschlag plant oder wenn jemand ein Velo klaut», so Glättli.

Dass die Person aus Kirchberg Sozialhilfe erhält, ist ebenfalls in der Flüchtlingskonvention geregelt. Personen mit Flüchtlingsstatus haben das gleiche Anrecht auf Sozialhilfe wie Einheimische. Auch hier gebe es also eine klare Regelung und keine Lücke in der Gesetzgebung. Den Motionen der SVP räumt Glättli deshalb wenig Chancen ein: «Wollen wir wirklich den Artikel 25 Absatz 3 aus unserer Bundesverfassung streichen und die Flüchtlingskonvention, die Menschenrechtskonvention, die Antifolterkonvention und den UNO-Pakt II über bürgerliche und politische Rechte kündigen? Dagegen wird es zu Recht breiten Widerstand geben.»

Um also zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Was passiert mit diesen Personen, die des Landes verwiesen werden, aber nicht ausreisen können?

Im Moment nichts.

 

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