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Nach dem Nein zum Autobahnausbau: Reaktionen aus der St.Galler Politik

«Die Mehrheit will eine Verkehrswende»: Franziska Rysers Erwartungen nach dem Nein zum Autobahnausbau – und die Sorgen vor der St.Galler Tunnelsanierung

 

Die linksgrüne Abstimmungssiegerseite sieht viele Möglichkeiten, den Autoverkehr zu verringern. Derweil warnen Bürgerliche vor einem Verkehrskollaps während der Sanierung des Rosenbergtunnels.

 

«Es gibt keinen Plan B»: Das sagte die St.Galler Bau- und Umweltdirektorin Susanne Hartmann (Die Mitte), nachdem am Sonntag das Nein zum Autobahn-Ausbauschritt feststand – und damit auch das Nein zur dritten Röhre durch den Rosenberg mit dem Zubringer Güterbahnhof in der Stadt St.Gallen. Die Befürworter befürchten, dass ein Verkehrskollaps auf die Stadt zukommt – vor allem ab 2037, wenn die beiden bestehenden Rosenberg-Röhren saniert werden. Die St.Galler Regierung will nun mit dem Bund Alternativen prüfen, damit die Stadt dereinst nicht im Verkehr versinkt.

 

Franziska Ryser, St.Galler Grünen-Nationalrätin.

Franziska Ryser, St.Galler Grünen-Nationalrätin.

Bild: Keystone

Was sagen die Siegerinnen und Sieger dazu? Wie soll es jetzt weitergehen? Franziska Ryser, Grünen-Nationalrätin aus der Stadt St.Gallen, hat an vorderster Front gegen das Autobahnausbau-Paket gekämpft. «Das Nein zeigt: Die Mehrheit der Bevölkerung will eine Verkehrswende anstossen. Der Bundesrat steht in der Verantwortung, das umzusetzen», sagt sie. «Wir erwarten, dass der Bundesrat jetzt die nächsten Schritte definiert. Zum Beispiel an einem runden Tisch mit den verschiedenen Akteuren.»

Zur Angst vor dem Mehrverkehr in St.Gallen sagt Ryser: «Die Tunnelsanierung beginnt nicht morgen, sondern erst in 13 Jahren. Wir haben also noch etwas Zeit zur Vorbereitung.» Es werde begleitende Massnahmen brauchen für den Umgang mit dem Verkehr in der Stadt. «Das wäre aber umso dringender nötig gewesen, wenn die dritte Röhre gebaut und in Betrieb genommen worden wäre – weil dann der Verkehr erst recht zugenommen hätte. Die Frage hätte sich also auch bei einem Ja gestellt.»

 

Verkehr reduzieren und besser lenken

 

Ryser sieht eine Reihe von Möglichkeiten. Bei der Sanierung der Stadtautobahn in den letzten Jahren sei es gelungen, den Verkehr zu Spitzenzeiten um zehn Prozent zu reduzieren, vor allem dank der Sensibilisierung der Bevölkerung und flexiblerer Arbeitszeiten. «Dieses Modell hat sich bewährt.» Hilfreich für den Verkehrsfluss seien auch Temporeduktionen. «Bei tieferer Geschwindigkeit sind kürzere Abstände zwischen den Autos möglich, dadurch hat die Strasse eine höhere Kapazität.» Intelligente Verkehrsleitsysteme könnten laut Ryser einen wichtigen Beitrag leisten. Als weitere Option nennt sie das Carpooling. «Heute sitzen in einem Auto zu Stosszeiten durchschnittlich nur 1,1 Personen.» Denkbar sei ein System mit separaten Fahrspuren oder einer Priorisierung für gut ausgelastete Autos.

Für den Schutz der Stadtquartiere vor Mehrverkehr sieht Ryser interessante Beispiele im Ausland. «Barcelona hat gute Erfahrungen mit sogenannten Superblocks gemacht. Dabei wird der Autoverkehr um Quartierblöcke herumgeführt. Innerhalb des Blocks ist die Zufahrt nur für die Anlieferung gestattet.» So lasse sich der Verkehr besser kanalisieren. «Das ist auch in der Schweiz möglich, in Zürich sind bereits Pilotprojekte im Gang.»

Für Mobility Pricing, also eine Sondergebühr für bestimmte Strassen, gibt es in der Schweiz bis jetzt keine Gesetzesgrundlage. Ryser hält die Idee für prüfenswert, sagt aber auch, dass es bislang noch an entsprechenden Erfahrungen fehle. «Verschiedene Gemeinden möchten erste Versuche starten. Der Bund sollte hier vorwärtsmachen und ihnen die Möglichkeit dazu geben.»

 

«Sonst fällt der Bund nochmals auf die Nase»

 

Zu den nächsten Schritten gehört laut Ryser auch die Diskussion um die Aufteilung der Gelder im Nationalstrassenfonds. «Denkbar ist, dass man den Anteil für die Agglomerationsprogramme in den Regionen erhöht – und damit beispielsweise den öffentlichen Nahverkehr und Langsamverkehr mehr fördert. Gerade für St.Gallen und Umgebung waren diese Beiträge in den letzten Jahren sehr wertvoll», sagt Ryser. Auch sei es nötig, den ÖV preislich attraktiver zu machen.

Claudia Friedl, St.Galler SP-Nationalrätin.

Claudia Friedl, St.Galler SP-Nationalrätin.

Bild: Keystone

SP-Nationalrätin Claudia Friedl – auch sie ist Stadtsanktgallerin – sagt, nach dem Nein liege der Ball beim Bund. «Es ist Sache der Fachleute, zu sagen, wie sie jetzt weiterfahren wollen. Es kann aber nicht sein, dass überall, wo zwei Autobahnröhren bestehen, noch eine dritte gebaut werden muss, um überhaupt den Unterhalt sicherzustellen.»

Friedl sagt, der Bund müsse nun beim gesamten Nationalstrassenausbau über die Bücher – auch bei jenen Projekten, über die am Sonntag nicht abgestimmt wurde. «Sonst fällt er nochmals auf die Nase.»

 

Der kantonale Verkehrsplaner sieht wenig Spielraum

 

Pascal Hinder, Gesamtprojektleiter Engpassbeseitigung St.Gallen.

Pascal Hinder, Gesamtprojektleiter Engpassbeseitigung St.Gallen.

Bild: Michel Canonica

Die kantonale Verwaltung müsse die Gründe der Ablehnung erst mal analysieren und mit dem Bund und den Projektverantwortlichen besprechen, sagt Pascal Hinder vom St.Galler Amt für Mobilität und Planung, der als Leiter der Verkehrsplanung auch das Projekt Engpassbeseitigung St.Gallen leitet. «Wir haben wie gesagt keinen Plan B oder C, das wäre Steuergeldverschwendung.» Gefragt sei nun die Politik.

Das Tiefbauamt konzentriere sich auf das Verkehrsmanagement gemäss Agglomerationsprogrammen, so Hinder. Will heissen, auf den Ausbau von Busspuren (beispielsweise neu beim Naturmuseum) und die bereits weitgehend umgesetzte digitale Priorisierung von Bussen sowie auf das Konzept mit Pförtneranlagen wie in der Liebegg zwischen Teufen und St.Gallen, womit der Individualverkehr gesteuert und verflüssigt werden kann. Die von den Kantonen St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden 2016 angekündigte und 2022 von der Ausserrhoder Regierung genehmigte Anlage war von Einsprachen blockiert, von denen nach abschlägigen Entscheiden noch eine Beschwerde vor dem Obergericht Trogen hängig ist.

Pascal Hinder betont aber einmal mehr: «Unser Verkehrssystem ist eine ausgepresste Zitrone, da lässt sich noch 1 oder 2 Prozent verbessern, aber sonst nicht mehr viel.» Und solange die Benützung der Strassen gemäss Bundesverfassung nicht respektive nur in Ausnahmen von der Bundesversammlung reglementiert werden könne, seien den Gemeinden und dem Kanton die Hände gebunden. Mit anderen Worten bleiben die kursierenden Ideen von Road und Mobility Pricing vorläufig gut gemeinte Theorie. «Die Hürden sind rechtlich überall gross.» Was die geänderten Rahmenbedingungen für die notwendige Sanierung des Rosenbergtunnels bedeute, muss laut Hinder das Bundesamt für Strassen klären – jedenfalls dürfte dies in nächster Zeit die Hauptsorge des Kantons sein.

 

Sanierung der Rosenberg-Röhren belastet Stadtverkehr

 

Die Sanierung der beiden Rosenberg-Röhren besorgt auch den grössten regionalen Wirtschaftsverband, die Industrie- und Handelskammer (IHK) St.Gallen-Appenzell. Das Nein zur Nationalstrassen-Vorlage sei ein «Rückschlag für die Mobilität in der Ostschweiz» und verzögere «dringend notwendige Ausbauschritte der Verkehrsinfrastruktur», schreibt die IHK in einer Medienmitteilung. Zwar stimme die Ja-Mehrheit der Kantone St.Gallen, beider Appenzell und des Thurgaus «zuversichtlich für die nachhaltige Weiterentwicklung der Mobilitätsinfrastruktur in der Ostschweiz», meint IHK-Direktor Markus Bänziger. Nun sei die Politik gefordert, «alternative Lösungen für eine wirkungsvolle Verkehrsentlastung zu finden». Aufgrund der Sanierung der beiden Rosenbergtunnel-Röhren dränge die Zeit.

Wie die Stadt St.Gallen die rund 40’000 Autos bewältigen will, die sich während der Tunnelsanierung durch die Stadtstrassen zwängen, weiss der städtische Baudirektor Markus Buschor noch nicht. Doch gebe es Ideen wie den zügigen Ausbau der Veloinfrastruktur und die nochmalige Diskussion des passenden Temporegimes, meint Buschor gegenüber dem SRF-Regionaljournal. Die Zeit bis zur Sanierung betrachtet der regionale VCS-Präsident Ruedi Blumer «als grosse Chance für St.Gallen», um die Verkehrspolitik neu auszurichten und den hausgemachten Autobahnverkehr zu verringern.

Michael Götte, St.Galler SVP-Nationalrat.

Michael Götte, St.Galler SVP-Nationalrat.

Bild: Donato Caspari

Anders SVP-Nationalrat Michael Götte, der als Tübacher Gemeindepräsident in der Agglomeration von St.Gallen wohnt und die dritte Röhre nicht einfach aufgeben will. «Jetzt müssen alle Optionen auf den Tisch», sagt er. «Dazu gehört die Frage einer dritten Röhre, leider ohne den Anschluss Güterbahnhof.» Zu diskutieren seien aber auch innerstädtische Entlastungsrouten, betont Götte. Er erwägt eine Interpellation an den Bundesrat zur Röhrensanierungsfrage in St.Gallen. «Die Kanalisierung des innerstädtischen Verkehrs auf eine Achse lässt sich während der Sanierungsphase des heutigen Tunnels nicht aufrechterhalten und wäre eine wirtschaftliche Katastrophe.»

 

Würth will Rechtsgrundlagen für Verkehrssteuerung

 

Benedikt Würth, St.Galler Mitte-Ständerat.

Benedikt Würth, St.Galler Mitte-Ständerat.

Bild: Alessandro Della Valle/Keystone

Einen Vorstoss in anderer Richtung bereitet Mitte-Ständerat Benedikt Würth vor. Um den Verkehr zu steuern, brauche es rechtliche Anpassungen auf Bundesebene. «Zwischen politischer Rhetorik, Stichwort <intelligentes Verkehrsmanagement>, und praktischer Umsetzung klafft eine grosse Lücke in der Schweiz», erklärt Würth. «Wenn man steuern will, müssen Kontrollschilder erfasst werden, damit Fehlbare auch sanktioniert werden können.»

Bisherige Bewegungen in diese Richtung waren allerdings wenig erfolgreich. Das EJPD hatte 2019 eine Vernehmlassung durchgeführt, um Anlagen zur automatischen Erkennung von Kontrollschildern als Mittel in der Geschwindigkeitsmessmittel-Verordnung zu regeln. Aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse sowie eines Urteils des Bundesgerichts entschied das EJPD, die Verordnung nicht zu revidieren. Ebenfalls wenig hilfreich sei ein kürzlich publizierter Entscheid des Bundesgerichts, meint Würth. «Für mich ist klar, dass die Politik hier nochmals über die Bücher muss und die entsprechenden Rechtsgrundlagen schaffen muss.»

Er sei nun mit Spezialisten an diesem Thema dran und reiche einen Vorstoss in der Dezember- oder dann in der Märzsession ein. Sein Ansatz sei von genereller Bedeutung und «selbstverständlich keine Alternative zum am Sonntag abgelehnten Paket», betont der St.Galler Ständerat.

 

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