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Aarauer Demokratietage: Demokratie im Krieg – die Rolle der Schweiz

«Bewaffnete Neutralität mit internationaler Kooperation»: So sieht Marianne Binder die geopolitische Rolle der Schweiz

 

Die diesjährigen Aarauer Demokratietage widmen sich der Frage, wie sich die Schweiz in Zeiten von Krieg und erstarkenden Autokratien verhalten soll. Am Donnerstag diskutierten unter anderem die Aargauer Ständerätin Marianne Binder (Mitte), Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne) und Nationalrat Michael Götte (SVP) darüber.

 

Wie soll sich die Schweiz zum Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten verhalten? Was bedeutet das aktuelle Weltgeschehen für die Schweizer Demokratie und Sicherheitslage? Was heisst es eigentlich im Jahr 2025, ein neutraler Staat zu sein? Um diese und andere Fragen drehen sich die diesjährigen Aarauer Demokratietage.

Herzstück des Anlasses ist jeweils eine öffentliche Podiumsdiskussion, die am Donnerstagabend im Kultur- und Kongresszentrum (KuK) stattfand. Eröffnet wurde sie von Pascale Baeriswyl, die im Livestream zugeschaltet war. Laut der Schweizer Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York befindet sich die Welt aktuell in der Krise, auch innerhalb des Sicherheitsrats hätten die Spannungen zugenommen. Dieser müsste eigentlich Verantwortung übernehmen können, sei aber lediglich ein «Spiegel der geopolitischen Lage».

Zur Rolle der Schweiz auf dem internationalen Parkett sagte Baeriswyl, nachdem sie die Sanktionen gegen Russland übernommen habe, seien ihr viele Verständnisfragen gestellt worden. «In der UNO fanden es alle gut, dass wir neutral sind. Aber alle stellten sich etwas anderes darunter vor», fasst Baeriswyl die Situation zusammen.

Die Schweiz setze sich konsequent für Friedenslösungen ein, «rigide im Ansatz und flexibel in der Methode». Darin sei man besser als andere Länder. Zudem sei es im Sicherheitsrat auch ein Vorteil, dass die Schweiz keiner Allianz wie der Nato angehöre. Aber: «Wir müssen uns gut überlegen, wie wir uns militärisch besser aufstellen und mit welchen Partnerschaften.»

 

Podiumsdiskussion im Rahmen der Aarauer Demokratietage 2025.

Podiumsdiskussion im Rahmen der Aarauer Demokratietage 2025.

Bild: Fabio Baranzini

 

Wenn die Schweiz angegriffen wird, wird die Neutralität hinfällig

 

Katja Gentinetta, Politikphilosophin und -beraterin, wies zunächst darauf hin, dass die Schweiz mitten in Europa liegt: «Wenn wir über Sicherheitspolitik nachdenken, müssen wir uns dessen bewusst sein.» Eine Ausweitung der russischen Aggression auf Nato-Länder sei nicht auszuschliessen. «Europas Stabilität ist als Erstes gefährdet und damit auch die Schweiz», sagte sie.

Bei grösseren Angriffen werde sich die Schweiz nicht allein verteidigen können, mahnte Gentinetta. Deshalb müsse man die eigene und die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit stärken. «Die Neutralität ist hinfällig, wenn die Schweiz angegriffen wird. Dann ist sie Kriegspartei und nicht mehr neutral.» Deshalb müsse man sich mit diesen unbequemen Fragen auseinandersetzen.

 

Politikphilosophin Katja Gentinetta an den Aarauer Demokratietagen.

Politikphilosophin Katja Gentinetta an den Aarauer Demokratietagen.

Bild: Fabio Baranzini

 

Bei militärischer Aufrüstung ist man sich uneinig

 

Die Auseinandersetzung folgte sogleich. Im Anschluss an die Referate diskutierten die Aargauer Ständerätin Marianne Binder (Mitte), Europa- und Wirtschaftsvölkerrechtsprofessor Thomas Cottier, Nationalrat Michael Götte (SVP), Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne) und Daniel Möckli, Leiter Think Tank des Center for Security Studies an der ETH Zürich.

Marianne Binder (Mitte) rief in Erinnerung, dass die Schweiz nicht der Nato angehört: «Wir müssen uns selbst verteidigen können.» Dafür müsse man aufrüsten. Binder warb jedoch nicht für einen Alleingang, sondern für «bewaffnete Neutralität mit internationaler Kooperation». Zum Ukraine-Krieg sagte sie in aller Kürze: «Ich habe Putin nie getraut.» Die einzige Sprache, die er verstehe, sei Wehrhaftigkeit.

Kritischer gegenüber militärischer Aufrüstung ist die Zürcher Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne). Sie sagte: «Wenn der Krieg beginnt, zeigt das vor allem eines: dass es zu spät ist.» Deshalb sollte man ihr zufolge möglichst viel in Prävention investieren. Sicherheit sei breiter zu denken, sich etwa weniger von russischen Rohstoffen oder chinesischer Technologie abhängig machen. Mehr Geld würde Schlatter beispielsweise in den Schutz vor Cyberangriffen investieren. «Stattdessen kaufen wir für Milliarden von Franken Rüstungsgüter.» Die Prioritäten seien falsch gesetzt.

 

«Wenn der Krieg beginnt, zeigt das vor allem eines: dass es zu spät ist», sagt die Zürcher Nationalrätin Marionna Schlatter.

«Wenn der Krieg beginnt, zeigt das vor allem eines: dass es zu spät ist», sagt die Zürcher Nationalrätin Marionna Schlatter.

Bild: Fabio Baranzini

 

Auch auf der Bühne verstehen alle etwas anderes unter Neutralität

 

Anders sieht das Michael Götte (SVP). Auch er erwarte in der Schweiz nicht «den klassischen Panzerkrieg», gegenwärtig sei die Schweiz aber in verschiedensten Bereichen nicht in der Lage, sich zu schützen: «Wir haben die Verteidigungsfähigkeit nicht mehr», sagte Götte, «wenn es hart auf hart kommt, schaut jeder für sich.» Er warb auch für die Neutralitätsinitiative der SVP, diese würde endlich Klarheit über den Begriff bringen.

 

Der St. Galler Nationalrat Michael Götte glaubt, dass jeder für sich schaut, wenn es hart auf hart kommt.

Der St. Galler Nationalrat Michael Götte glaubt, dass jeder für sich schaut, wenn es hart auf hart kommt.

Bild: Fabio Baranzini

 

Daniel Möckli sieht es gerade bei der aktuellen Weltlage kritisch, eine klare, definitive Auffassung von Neutralität zu schaffen. Man müsse sich den Gegebenheiten anpassen können. Möckli findet, das bestehende Neutralitätsrecht habe Spielräume, die man besser nutzen könnte: «Nicht jeder exportierte Helm bricht gleich das Neutralitätsrecht.»

Thomas Cottier nannte die Neutralitätsinitiative gar eine «Pro-Putin-Initiative». Seiner Analyse nach ist «die Autokratie tatsächlich im Vormarsch und das letzte Beispiel dafür meiner Ansicht nach die USA». Die handlungspolitischen Entwicklungen sieht er «etwas weniger dramatisch». Was die Armee betrifft, plädierte er für eine Strategie mit gewissen Schwerpunkten, bevor man einfach Geld spreche.

Im Gegensatz zu 2024 fehlte dieses Jahr auf der Bühne eine polarisierende Persönlichkeit wie alt Bundesrat Ueli Maurer. Der Saal war trotzdem voll, das Interesse gross. Kleinere Störaktionen und einige Grabkerzen auf Friedensflaggen vor dem Gebäude offenbarten, dass zumindest das Thema polarisiert.

 

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