Trotz Esther Friedlis Kritik: Die St.Galler SVP ringt sich zur Ja-Parole für die Reform der beruflichen Vorsorge durch
Die SVP Kanton St.Gallen ist vor der Abstimmung über die BVG-Reform gespalten. An der Parteiversammlung in Steinach stritten Bundesparlamentarier und Delegierte um die Parole. Ständerätin Esther Friedli, die entgegen der Mutterpartei die Reform ablehnt, erhielt Zuspruch aus dem Publikum. Doch die Befürworter setzten sich durch.
Michael Götte wirkt leicht angespannt. Der St.Galler SVP-Nationalrat sitzt im Gemeindesaal in Steinach, zusammen mit rund hundert Delegierten der Kantonalpartei, und studiert seine Notizen. Er hat an diesem Mittwochabend den heiklen Job, dem Publikum die Reform der beruflichen Vorsorge schmackhaft zu machen, über die am 22. September abgestimmt wird. Denn obwohl die SVP Schweiz relativ deutlich die Ja-Parole gefasst hat: Das Thema ist innerhalb der Partei umstritten, es gibt viele Gegnerinnen und Gegner. Zu den prominentesten gehört die St.Galler Ständerätin Esther Friedli. Prompt warf ihr der Thurgauer SVP-Nationalrat Manuel Strupler vergangene Woche vor, sie schaue als Vertreterin der Gastrobranche «nur für sich selber».
Im St.Galler Kantonalvorstand herrschte «eine komplette Pattsituation», wie Parteipräsident und Nationalrat Walter Gartmann am Rednerpult sagt: fünfmal Ja, fünfmal Nein, zwei Enthaltungen.
Götte referiert in nüchternem Ton. Die letzte Reform sei 20 Jahre her. «Viele finden, es sei Zeit für eine Korrektur», unter anderem weil die Lebenserwartung deutlich gestiegen sei. Die Reform verbessere die Generationengerechtigkeit, die Chancen von älteren Erwerbstätigen und die Situation von Personen mit Teilzeitpensum. «Gerade die bessere Absicherung von Frauen, die daheim Betreuungsarbeit leisten, ist ein wichtiger Punkt», sagt Götte. Er habe Verständnis für die Kritik an der Vorlage, aber die Folgen eines Neins seien ungewiss. «Wer weiss, wie lange es dauert, bis eine neue Reform zustande käme?»
«Eine Bastelei wie früher in der Primarschule»
Auf Widerspruch muss Götte nicht lange warten. Sofort beginnt im Saal eine Diskussion, je nach Votum applaudiert mal die eine, mal die andere Hälfte des Publikums. «Die Reform erinnert mich an die Basteleien, die ich früher als Primarschüler fabriziert habe», sagt ein Teilnehmer. Er habe sich «fast zu Tode gelesen», um sich über die Vorlage zu informieren. Dieses Herumschrauben an den drei Säulen der Altersvorsorge bringe nichts. «Was wir brauchen, ist ein höheres Rentenalter.» Esther Friedli habe darum recht, die Reform sei abzulehnen, ein neuer Vorschlag müsse her.
Andere Delegierte kritisieren ebenfalls das «Flickwerk» der Reform, jemand ärgert sich über die Massnahme zugunsten von Teilzeitlern. Das jetzige System sei «tipptopp».
Gartmann sagt, als Unternehmer sehe er Vorteile in der Reform. Heute würden Personen über 50 häufig nicht eingestellt, mit dem Argument, sie seien zu teuer wegen der Pensionskasse. «Dass man das korrigiert, ist gut.» Auch gefalle ihm der Gedanke nicht, dass bei einem Nein «die Linken wieder die Sieger sind».
Hier knüpft Nationalrat Roland Rino Büchel an: «Die Linken wollen eine Einheitskasse. Das wollen wir nicht.» Die jetzige Reform sei zwar kein wahnsinnig guter Kompromiss, «aber besser kommt es garantiert nicht».
«Kein Hauptthema unserer Partei»
Esther Friedli hingegen bleibt bei ihrem Nein. «Es ist eine Scheinreform. Und was mich am meisten stört: Diejenigen, die das ganze Leben lang gearbeitet und eingezahlt haben, werden bestraft.» Gleichzeitig sei unklar, wer nun wirklich profitiere. Nicht einmal Bundesrätin Baume-Schneider mache dazu eine klare Aussage. «Wir brauchen aber eine Reform, die für möglichst alle eine positive Wirkung hat.» Die jetzige Vorlage schaffe vor allem viel Bürokratie. «Sogar Experten sagen, die Reform sei zu komplex.»
Die SVP müsse sich wegen dieser Vorlage nicht zerstreiten, sagt Friedli – «es geht hier nicht um ein Hauptthema unserer Partei». Es sei ihr aber wichtig, zu betonen, dass es auch bürgerliche Nein-Stimmen gebe. Wirtschaftsverbände gerade aus Branchen mit tiefen Löhnen seien dagegen.
Nationalrat Mike Egger sagt, der Grund für die Reform sei doch ein schöner: «Wir werden immer älter.» Fast 400’000 Personen könnten mit dieser Reform bessere Renten erwarten. «Für mich ist das keine Bastelei, sondern ein Kompromiss.»
Schliesslich ringt sich die Versammlung zur Ja-Parole durch – mit 56 zu 38 Stimmen bei 5 Enthaltungen. Michael Götte zeigt sich später erleichtert: «Mit diesem Resultat bin ich zufrieden», sagt er und lacht.
Zuvor hatten die Delegierten einstimmig die Nein-Parole zur Biodiversitätsinitiative beschlossen. Auch der Parteivorstand wurde wiedergewählt. Den ehemaligen Regierungsrat Stefan Kölliker würdigte das Publikum mit stehendem Applaus, der amtierende – Christof Hartmann – hatte sich aus beruflichen Gründen entschuldigt. «Ich bleibe Parteipräsident, bis wir einen zweiten Regierungssitz haben», sagt Walter Gartmann mit einem Augenzwinkern.