Die Nachbargemeinden zeigen der Stadt St.Gallen die kalte Schulter – und verteidigen den aktuellen Finanzausgleich
Gerade einmal auf zwei Gemeinden konnte die Stadt St.Gallen zählen: Wittenbach und Rorschach stimmten einer Erhöhung des Lastenausgleichs zu. Alle andern wollten davon nichts wissen. Auch nicht die Nachbargemeinden. Warum ist dem so?
Die St.Galler Stadtpräsidentin Maria Pappa hat sich am Sonntagabend bedankt. Bei Wittenbach und Rorschach. Nicht von ungefähr. Die beiden Gemeinden haben – neben der Stadt St.Gallen – als einzige im Kanton Ja gesagt zum neuen Finanzausgleich und damit zu einer temporären Erhöhung des Zentrumslastenausgleichs für die Kantonshauptstadt. «Die beiden Gemeinden haben erkannt, was wir als Stadt leisten», sagte Pappa im Interview mit dieser Zeitung. Und sie machte keine Geheimnis aus ihrer Enttäuschung über andere Nachbargemeinden wie Gaiserwald oder Mörschwil, welche die Vorlage verwarfen.
Welche Gedanken machen und machten sich die Nachbargemeinden?Interessiert es sie tatsächlich nicht, ob es der Stadt gut oder schlecht geht? Ob sie für ihre Zentrumslasten fair entschädigt wird oder nicht?
«Interessen nicht gegeneinander ausspielen»

Boris Tschirky, Gemeindepräsident von Gaiserwald und Kantonsrat.
«Haben Sie die Abstimmungsergebnisse studiert?» fragt Boris Tschirky, Gemeindepräsident von Gaiserwald, zurück. Seine Gemeinde hat die Vorlage mit 52,2 Prozent Nein-Stimmen bachab geschickt. 1191 Nein stehen 1091 Ja gegenüber. Tschirky sagt denn auch: «Ein Unterschied von 100 Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 39,39 Prozent» – beide «Lager» hielten sich ungefähr die Waage. Und: Jede Bürgerin und jeder Bürger von Gaiserwald sei frei in ihrem respektive seinem Abstimmungsverhalten.
Tschirky ist auch Kantonsrat und Präsident der Mitte/EVP-Fraktion. Und ehemaliger Präsident der St.Galler Gemeindepräsidien. Beide haben die Vorlage zum Finanzausgleich unterstützt. Es sei ihm wichtig, dass «die verschiedenen regionalen Interessen im ganzen Kanton nicht gegeneinander ausgespielt werden».
Die interkommunale Zusammenarbeit – unabhängig davon, wo die Gemeinden geografisch liegen und wer die Nachbargemeinde ist – müsse vielmehr intensiviert werden. So liessen sich auch (finanziell) austarierte interkommunale Lösungen umsetzen, zum Beispiel im Infrastrukturbereich. Deshalb profitierten unmittelbare Nachbarn – wie die Stadt St.Gallen und die Agglomerationsgemeinden – gegenseitig voneinander, «aber natürlich durch unterschiedliche Angebote, denn Doppelspurigkeiten machen heutzutage keinen Sinn mehr».
Generell sei der Finanzausgleich ein ausgeklügeltes System, dessen verschiedene «Stellschrauben» fein aufeinander abgestimmt seien. «Er hat einen gewissen Fairnesscharakter und bildet auch die Lasten und Pflichten aller St.Galler Gemeinden subtil ab», so Tschirky.
«Bescheidene Willkommenskultur»

Michael Götte, Gemeindepräsident von Tübach und Nationalrat.
Wechsel vom Westen zu den Tiefsteuergemeinden im Osten der Stadt St.Gallen. Dazu gehört Tübach. Welchen Schluss zieht Gemeindepräsident Michael Götte aus dem Abstimmungsergebnis? Auch seine Gemeinde lehnte die Vorlage ab – mit 55,6 Prozent Nein-Stimmen.
«Offensichtlich erleben viele Tübacherinnen und Tübacher die Willkommenskultur der Stadt St.Gallen als eher bescheiden», antwortet Götte. Man habe vielfach den Eindruck, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass man in der Agglomeration wohnt. Er könne dieses Gefühl sehr gut nachvollziehen. Er erinnert etwa an die Autobahnabstimmung über eine dritte Röhre für den Rosenbergtunnel: «Der Mehrheit der Stimmbevölkerung der Stadt St.Gallen ist es egal, wenn Vorortsgemeinden wie Tübach über Jahre hinweg vom Rest der Schweiz abgeschnitten sind.»
Schliesst sich der SVP-Nationalrat der Haltung seiner Partei an, die Stadt lebe auf zu grossem Fuss? Götte verweist auf eine aktuelle Untersuchung von Avenir Suisse, die zeige: Die Stadt St.Gallen leiste sich nach Zürich und gemeinsam mit Winterthur im Verhältnis zur Einwohnerzahl die grösste Verwaltung. «Da gibt es sicher Sparpotenzial», so Götte. Er hält den aktuellen Finanzausgleich denn auch «nicht für unfair». Jedenfalls nicht pauschal. «Ohne Zweifel gibt es Verbesserungsbedarf, etwa beim Soziallasten-Ausgleich.»
Kein Interesse, dass es der Stadt gut geht?
Trotzdem: Müsste er als Präsident einer Nachbargemeinde nicht ein Interesse haben, dass es der Stadt gut geht? «Selbstverständlich», antwortet Götte. Zur Stadt St.Gallen gehörten aber auch die Besucher, Kunden und Beschäftigten von ausserhalb. «Wenig ermutigend ist, wenn die Stadtpräsidentin im Tagblatt-Interview betont, dass die Stadtpolitik ausschliesslich der Mehrheit der Stadtbevölkerung verpflichtet ist. Alle anderen zählen nicht, sollen aber zahlen», so Götte.
Er verneint nicht: Tübach profitiere in verschiedener Hinsicht von der Nähe zur Stadt St.Gallen. Es gelte aber auch das Umgekehrte. Die Stadt als Arbeitsort profitiere von den attraktiven Wohngemeinden in der Agglomeration. «Die ältesten Häuser in Tübach waren Feriendomizile von Textilern aus St.Gallen», sagt Götte und hält abschliessend fest: «Einseitige Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter.»