Skip to content

Der Kampf um den Eigenmietwert

Gefahr eines Milliardenlochs oder längst überfällig?

Am 28. September stimmt die Schweiz über die Abschaffung des Eigenmietwerts ab. Eigentümerinnen und Eigentümer erwarten Steuerentlastungen. Mietende fürchten Mehrbe-lastungen. Für Städte und Gemeinden geht es um Millionen. Für den Immobilienmarkt darum, ob Wohnen teurer wird.

 

Abstimmung Ein fiktives Beispiel zu Beginn: Ein Montagabend in der Stadt St.Gallen. Auf dem Küchentisch im Einfamilienhaus von Familie Meier stapeln sich Baukataloge und Kostenvoranschläge für eine Dachsanierung. Sie überlegen, ob sich die Sanierung des Dachs noch lohnt. Bisher mussten sie einen fiktiven Mietwert ihres eigenen Hauses als Einkommen versteuern und konnten dafür Unterhalts- und Sanierungskosten abziehen. Am 28. September stimmen die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger darüber ab, ob dieser Eigenmietwert abgeschafft wird. Für dieMeiers könnte das weniger Steuerbelastung bedeuten, aber auch weniger Abzugsmöglichkeiten, wenn es beispielsweise um die Sanierung des Dachs geht. Für Gemeinden und Städte geht es um Millionen, wie von links-grüner Seite zu entnehmen ist.

 

Streit um ein fiktives Einkommen

Der Eigenmietwert ist ein Konstrukt. Wer im eigenen Haus wohnt, muss ein fiktives Einkommen versteuern, als ob er die eigene Wohnung an sich selbst vermieten würde. Bisher versuchte der Bunddamit einen Ausgleich zu schaffen zwischen Mietenden, die keine Abzüge geltend machen können, und Eigentümerinnen, die Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten abziehen dürfen. Schon länger sorgt dieses Konstrukt für Diskussionen.

Die Debatte verläuft quer durch die Parteienlandschaft und die Gesellschaft. Befürworter sehen eine unfaire Steuer auf ein Einkommen, das gar nicht existiert. Gegner warnen vor Milliardenausfällen bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Auch die Frage der sozialen Gerechtigkeit spaltet: Mieterinnen fürchten, die Entlastung der Hauseigentümer mit höheren Steuern finanzieren zu müssen. Ein weiteres Thema sind die Anreize für energetische Sanierungen, die bisher steuerlich abziehbar sind. Und schliesslich bleibt offen, ob eine Objektsteuer auf Zweitwohnungen die Ausfälle tatsächlich kompensieren kann.

 

«Der Eigenmietwert bestraft die Sparsamen»

SVP-Nationalrat Michael Götte aus Tübach tritt als klarer Befürworter der Vorlage auf. Für ihn ist derEigenmietwert nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch veraltet. «Der Eigenmietwert bestraft sparsame Bürgerinnen und Bürger. Das passt nicht zur Schweiz. Darum sage ich ‘Ja’ zur Abschaffung des Eigenmietwerts».

Und was ist mit dem Vorwurf, dass Mietende zu den Verlierern der Vorlage gehören? Davon will Götte nichts wissen: «Die Abschaffung des unfairen Eigenmietwerts hat keine negativen Folgen für Mieterinnen und Mieter. Es ist keine einseitige Bevorteilung, sondern eine Korrektur einer Schieflage.» Ebenfallsverneint der SVP-Nationalrat, dass Steuerausfälle in Milliardenhöheein Resultat bei einer Annahme der Vorlage wären. «Diese Befürchtungen sind übertrieben. Viele Kantone haben bereits tiefere Eigenmietwerte eingeführt, ohne dass ihreFinanzen kollabiert wären», weiss Götte.

Was der Tübacher jedoch als sinnvoll betrachtet, ist die vorgesehene Objektsteuer auf Zweitwohnungen. «Zweitwohnungen stehen in derRegel für ein höheres Einkommen und sind ein Luxusgut. Eine moderate Objektsteuer sorgt für einen fairen Ausgleich zwischen Erst- und Zweitwohnsitz.» Götte weist aber darauf hin, dass bei Annahme der Vorlage vorsichtig und überlegt agiert werden muss: «Der Systemwechsel muss schlank, unbürokratisch und mit Augenmass umgesetzt werden.»

 

«Die Immobilienpreise werden bis zu 13% steigen»

Ganz anders klingt das auf Seiten der Sozialdemokraten. Barbara Gysi, SP-Nationalrätin aus Wil, spricht beispielsweise gar von einem gefährlichen Projekt. «Die Abschaffung des Eigenmietwerts stellt Hausbesitzende gegenüber Mietenden besser und führt zu massiven Einnahmenausfällen. Deshalb lehnen auch dieOstschweizer Kantone diesen Systemwechsel ab», sagt Gysi auf Anfrage. Sie betont, dass am Ende alle zahlen müssten: «Die milliardenhohen Ausfälle verschärfen die Sparbemühungen und führen zu Leistungsabbau oder zu Mehrbelastungen ananderen Orten, die dann alle zu tragen haben.» Für die Stadt St.Gallen rechnet Gysi mit zwei bis drei Millionen Franken weniger Einnahmen, im ganzen Kanton mit rund 60 Millionen.

Die SP-Nationalrätin fürchtet jedoch nicht nur einen Leistungsabbau, sie verweist auch darauf, dass junge Familien durch die Vorlage keine finanzielle Entlastung erfahren. «Die Abschaffung des Eigenmietwerts fallen auch die Abzüge für Sanierungen und Hypotheken weg. Die Steuerentlastung wird daher weniger bei ihnen anfallen als bei sehr gut Situierten.» Ausserdem kommt laut Gysi ein Preisschub am Markt hinzu. «Die Immobilienpreise werden gemäss einer UBS-Studie um 13 Prozent steigen. Für junge Familien wird so ein Eigenheim noch unerschwinglicher.»

Gysi sorgt sich aber nicht nuraufgrund finanzieller Negativauswirkungen, sondern auch aus klimapolitischer Sicht: «Wenn der Steuerabzug für Sanierungen wegfällt,werden viele mit den Investitionen zuwarten. Die Beiträge durch Klimaprogramme reichen nicht aus, um das zu kompensieren.»

 

St.Gallen teilt Ansichten mitSP-Nationalrätin

Die Einschätzung der Stadt St.Gallen, vertreten durch Mediensprecher Urban Rechsteiner, deckt sich in Teilen mit den Warnungen von Barbara Gysi. Die Stadt formuliert jedoch zurückhaltender: Der Kanton schätzt die Steuerausfälle für alleSt.Galler Gemeinden auf total 16,4 bis 21,9 Millionen Franken.

Ungefähr gleicher Ansicht wie Gysi ist die Stadt, wenn es um dieSteuerausfälle auf städtischer Ebene geht. «Ausgehend von der Schätzung des Kantons wäre für die Stadt St.Gallen mit Steuerausfällen zwischen 2,5 und 3,3 Millionen Franken zu rechnen. Aufgrund deshohen Mietwohnungsanteils gehen wir davon aus, dass St.Gallen eher am unteren Ende der Bandbreite liegt», sagt Tony Romano, Leiter des städtischen Steueramts.

Auch beim Wohnungsmarkt sieht die Stadt eine veränderte Ausgangslage. «Durch die Abschaffung desEigenmietwerts könnte Eigentum im Grundsatz attraktiver werden. Im Kontext mit der ohnehin schonhohen Nachfrage nach Eigentum könnte dies die Preisentwicklung weiter anheben», sagt Samuel Zuberbühler, Leiter Standortförderung der Stadt St.Gallen. Damit bestätigt die Verwaltung indirekt die Befürchtung Gysis, dass die Mieten und Preise in der Stadt unter Druck geraten könnten.

Anders als die SP-Nationalrätin sieht die Stadt St.Gallen den Bereich der Sanierungen. «Die Stadt St.Gallen fördert schon heute energetische Sanierungen, wie Wärmedämm-massnahmen, Fensterersatz,Heizungsersatz oder Wärmerückgewinnungsanlagen. Wärmedämmmassnahmen an Dach und Fassade werden nach wie vor auch vomkantonalen Gebäudeprogrammfinanziell unterstützt. Zusätzliche Förderprogramme sind nicht vorgesehen», sagt Fredy Zaugg, LeiterUmwelt und Energie der Stadt St.Gallen.

In der Frage der Zweitwohnungen relativiert das städtische Steueramt. In St. Gallen sei das kaum ein Thema, viele Wohnungen würden ohnehin vermietet. Im Kanton St.Gallen gibt es mit der Grundsteuer bereits eine Objektsteuer auf Gemeindeebene. Konkrete Überlegungen, ob und auf welcher Ebene eine zusätzliche Objektssteuer auf Zweitliegenschaften oder generell Anpassungen an der bestehenden Grundsteuer erfolgen sollen, wurden noch nicht angestellt. Die Stadt will zuerst einmal das Abstimmungsergebnis abgewartet.

 

Immobilienbranche erwartet Preissteigerungen

Ebenfalls Gedanken über die Vorlage macht man sich in der Immobilienwirtschaft. Stimmt das Volk ‘Ja’ zur Vorlage, hätte dies laut Gysi Auswirkungen auf die Immobilienpreise. Auf Anfrage bei Philipp Stucki, Verwaltungsratspräsident von Engel & Völkers Ostschweiz, zeigt sich, dass er der Vorlage eher positiv entgegensieht. Laut ihm würde sich bei der Abschaffung des Eigenmietwerts eine Chance für den Marktergeben – mit Vorbehalten. «Der Kauf von Immobilien wird attraktiver, besonders für ältere Menschen mit abbezahlten Hypotheken.» Gleichzeitig warnt er vor Nebenwirkungen. «Der Druck auf die Immobilienpreise wird zunehmen. Eigentum könnte für viele noch teurer werden», geht Stucki mit Gysid’accord.

Damit zeigt gerade Stucki das Dilemma passend auf. Wird die Vorlage angenommen, profitieren bestehende Eigentümerinnen und Eigentümer. Gleichzeitig wird ein Preisanstieg vermutet, der das Kaufinteresse schmälert.

 

Amriswil erwartet keine gravierenden Folgen

In Amriswil sieht Stadtpräsident Gabriel Macedo die Lage pragmatischer. «Unter dem Strich ist offen, wie stark sich die Reform tatsächlich auf die Steuerkraft der Stadtauswirken wird. Klar ist, die Konsequenzen sind für die Stadt nicht gravierend». Für Macedo steht die Fairness im Vordergrund. «Gerade im Alter, wenn Hypotheken abgebaut sind und weniger Schuldzinsen abgezogen werden können, führt der Eigenmietwert heute oft zu einer spürbaren Zusatzbelastung.»

Macedo glaubt nicht, dass die Vorlage die Wohnpolitik seiner Stadt grundlegend verändert. «Die Nachfrage nach Wohneigentum könnte leicht steigen, entscheidend bleiben aber Zinsen, Baulandpreise und die persönliche Lebenssituation.» Und auch energetische Sanierungen sieht er beim ‘Ja’ zur Vorlage nicht gefährdet. «Ein Eigentümer hat immer ein ureigenes Interesse daran, seine Liegenschaft in Schuss zu halten.»

 

Weitere News

An den Anfang scrollen